VORWORT VON JEAN-LUC MÉLENCHON

Ehrlich, wer von uns glaubt noch an die großartigen Versprechungen eines sozialen, ökologischen und demokratischen Europas, die jede neue Präsidentschaftswahl begleiten?

Na ja, viele sind es nicht. Zwanzig Jahre Abbau der öffentlichen Dienste und Minderung der Arbeitnehmerrechte, massive Umweltverschmutzung, unkontrollierter Wettbewerb und Privatisierung um jeden Preis haben die europäischen Völker gegen die europäischen Einrichtungen ausgespielt.

Die wahre Geschichte der Europäischen Union liegt in einer tiefen Täuschung und seit 2005 in einer Usurpation. Denn obwohl sich seit die Europäische Union seit ihrer Gründung in ihrer politischen Natur, ihrer Geografie und ihrer geopolitischen Bedeutung verändert hat, wurde in der jüngsten Geschichte wiederholt eine gewisse Grenze überschritten. Seit dem „Nein“ zweier der sechs Gründerstaaten im EU-Referendum 2005 zur Europäischen Verfassung, das in Frankreich durch einen parlamentarischen Beschluss in ein „Ja“ umgewandelt wurde, ist die Europäische Union, wie wir sie heute kennen, ein illegitimes Gefüge in Hinblick auf die Souveränität des französischen Volkes.

Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2022 erfordern, dass wir uns ernsthaft mit unserer Beziehung zur Europäischen Union und unserer politischen Strategie auseinandersetzen.

Dabei geht nicht darum, sich die Frage zu stellen, wie das ideale Europa aussehen würde.

Stattdessen geht es darum, sich die Mittel zu erkämpfen, um ein Programm des ökologischen, demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs in Frankreich auf die Beine zu stellen, auch wenn dieses gegen die europäischen Bestimmungen verstößt. Wir lehnen die absurde Pro- oder Kontra-EU-Debatte, für die sich Emmanuel Macron einsetzt, vehement ab. Natürlich bleiben wir unserer historischen Tradition – die des Internationalismus – weiterhin treu; Natürlich befürworten wir internationale Kooperationen, wenn sie die Lebensbedingungen verbessern und es ermöglichen, politische Herausforderungen gemeinsam zu meistern! Dennoch lehnen es ab, dem französischen Volk aufzuzwingen, was es einst abgelehnt hat und wir lehnen ab, uns dem ökologischen und sozialen Fortschritt in den Weg zu stellen.

Wir schlagen einen entsprechend anderen Weg vor: Wir wollen die Volkssouveränität in Europa strikt respektieren und unter allen Umständen das Prinzip einer ökologischen und sozialen Regressionsfreiheit durchzusetzen. Das Ziel, das wir uns setzen, ist einfach: auf Ebene des ökologischen und sozialen Fortschritts nur das Beste zu bieten. Und unser Engagement klar: Wir wollen unser Programm umsetzen, und zwar vom Anfang bis zum Ende.

Um unser Ziel umsetzen zu können, stützen wir uns eine EU-Strategie, mit der wir erst jene europäischen Vorschriften identifizieren, die die Umsetzung unseres Programms behindern, um infolge dessen eine Methode vorzuschlagen, diese Blockaden zu beseitigen. Diese verlangt sowohl den Aufbau eines Machtgefüges als auch den unilateralen Aufruf auf Nichtbefolgen jener Vorschriften.

Die gesamte Geschichte der Europäischen Union wird aus dieser Art Machtverhältnisse und Kooperationen wenngleich mit variabler Geometrie geprägt: Es ist an der Zeit, dass auch wir sie nutzen, um uns die notwendigen Mittel zur Umsetzung unseres Programms zu beschaffen. Andernfalls würde man sich zu den Wahllügen und dem Verrat früherer Regierungen verurteilen.

Unsere Gegner haben das schön längst verstanden und immer wieder neue Schlupflöcher gefunden, um das zu erreichen, was sie wollten: Das französische Volk hat auch die nötigen Mittel, seinen Willen durchzusetzen, indem es sich auf das Mandat des Volkes stützt, das sich aus unserem ambitionsreichen Programm „L’Avenir en commun“ ergibt.

Sich der wahren Lage, in der sich die Europäische Union befindet, bewusst sein

Die katastrophale Bilanz Macrons Fünfjahresperiode zum Thema Europa

Emmanuel Macron hält sich zwar selbst für einen Europa-Champion, doch kann seine Europapolitik kurzerhand als Katastrophe betrachtet werden. Hat er nicht in allem nachgegeben: dem Buchführungswahn der nordeuropäischen Regierungen ebenso wie den autoritären Entgleisungen der osteuropäischen Regierungen. Seine großen Reden zum Thema Klima und Ungleichberechtigung wurden einfach nie in die Tat umgesetzt. Seine Regierung hat sich in schändliche Bündnisse verstrickt, um die wenigen Maßnahmen für den menschlichen und ökologischen Fortschritt zu sabotieren. Und seine Konferenz zur Zukunft Europas, die auch als „große Debatte“ hingestellt wird, die die europäischen Völker mit dem Konzept der Europäischen Union versöhnen soll, ist ebenso eine Farce wie ein demokratischer Flop.

Macron hat in allem nachgegeben.

Macron hat hinter den Kulissen das Schlimmste erkämpft

2022 – die Chance für eine bahnbrechende Ratspräsidentschaft Frankreichs

Die Europäische Union darf 2022 einen Wendepunkt erwarten

Die EU-Verwaltungsorgane sind geschwächt wie noch nie zuvor

Die Europäische Kommission war noch nie so schwach:

Die wiederholt angefochtene europäische Ideologie des freien Marktes ist zum Scheitern verordnet

Die Europäische Industrie in Gefahr:

Die EU scheitert an der Klimakrise:

Ein erschütterter Sozialstaat:

Das EU-Recht wird der Umsetzung der erträumten „Gemeinsamen Zukunft“ (L’Avenir en commun) noch die eine oder andere Blockade vorbehalten

Unser Versprechen lautet: das Programm, dem die französischen Bürger und Bürgerinnen im Falle eines Sieges bei den Präsidentschaftswahlen ihre Zustimmung gegeben haben, von A bis Z auch tatsächlich umzusetzen. Dies bedeutet, dass man sich mit den europäischen Institutionen auseinandersetzen muss, da die Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen im Widerspruch zum europäischen Recht (Verträge, Richtlinien oder Verordnungen) stehen wird. Unsere Europa-Strategie wird auf einer sorgfältigen Analyse dieser Blockaden begründet sein.

Wir haben daher das Programm von L’Avenir en commun nach europäischem Recht durchleuchtet und die wichtigsten Unvereinbarkeiten ermittelt:

Die Umsetzung eines ehrgeizigen Umweltprogramms ist durchaus mit den aktuellen EU-Regelungen unvereinbar.

Die Europäische Union spricht gerne von ihren großen Ambitionen in Sachen Klimaschutz. Dennoch werden viele Maßnahmen, die angesichts der ökologischen Notlage notwendig sind und vom Bürgerkonvent für das Klima befürwortet worden waren, durch die europäische Besessenheit von Liberalisierung und Wettbewerb unmöglich gemacht.

Wie will man den nachhaltigen Verkehr fördern, wenn die öffentlichen Verkehrsnetze immer weiter eingeschränkt, privatisiert oder zur Kommerzialisierung freigegeben werden, um den europäischen Wettbewerbsanforderungen gerecht zu werden? Somit verliert auch der einzelne Staat seine Fähigkeit, sein öffentliches Verkehrsnetz zu entwickeln.

Wie will man den Konsum auf 100 % erneuerbare Energien umstellen und gleichzeitig die Stromrechnungen der Arbeiterklasse senken? Durch die Privatisierungen und Liberalisierungen von EDF und Engie (ehemals GDF) haben wir die Kontrolle über unsere Energiesouveränität verloren, und der Wettbewerb zwischen den Energieversorgern hat zu Preissteigerungen von mindestens 60 % geführt. Der von der EU angestrebte und von Emmanuel Macron befürwortete europäische Energiemarkt forciert Spekulationslogiken, die uns daran hindern, eine authentische Energiepolitik zu betreiben, die sowohl das Klima als auch unsere Bürger:innen schützt.

Wie will man auf Bio-Kantinen, Nahversorgung und ökologisches Wohnen umsteigen? Heute werden öffentliche Ausschreibungen europaweit ausgeschrieben, sodass es immer weniger möglich ist, Umweltkriterien über den Preis zu stellen. Dies führt dazu, dass umweltbelastenden Unternehmen und Produkten, die vom entgegengesetzten Ende der Europäischen Union kommen, der Vorzug gegeben wird.

Wie will man den Mehrwertsteuersatz nach der Länge des Transportweges importierter Produkte staffeln, wenn ihn die Europäische Union im Namen des freien und unverzerrten Wettbewerbs ablehnt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede ernsthafte Umweltpolitik diese Blockaden ernst nehmen muss, um eine Strategie zu ihrer Umgehung entwickeln zu können: Denn wer die derzeitigen EU-Regelungen buchstabengetreu befolgt, ist in Sachen Klimaschutz und Biodiversität zur Ohnmacht verurteilt.

Unsere Strategie zur Umgehung der europäischen Blockaden lautet wie folgt:

Auf Grundlage der festgestellten Unvereinbarkeiten unseres Programms mit dem europäischen Recht ist es das Ziel unserer Europa-Strategie, eine Blockade nach der anderen durch Regierungsentscheidungen unter Achtung des Volkswillens zu neutralisieren.

Wir schlagen den EU-Mitgliedsstaaten und ihren Völkern einen einvernehmlichen Bruch mit den derzeitigen europäischen Abkommen vor (Plan A).

Dies wird durch die Aushandlung neuer europäischer Rechtstexte geschehen, die mit den dringlichen klimatischen und sozialen Bedürfnissen vereinbar sind und dem französischen Volk in einem Referendum zur Zustimmung vorgelegt werden. Wir schlagen unter anderem Folgendes vor:

Wir werden in jedem Fall sofort unser Programm auf nationaler Ebene umsetzen und uns der Konfrontation mit den EU-Institutionen stellen (Plan B).

Diese beiden Strategien sind komplementär: Nur wenn wir als Vorkämpfer auftreten, können wir auch die anderen europäischen Völker mitreißen!

Unsere Logik ist ganz einfach. Solange keine Einigung zur Änderung eines Abkommens erzielt ist, setzen wir unsere Gespräche mit unseren Partnern fort und ignorieren gleichzeitig etwaige Blockaden. Im Falle einer Einigung wird diese systematisch einem Referendum unterzogen.

Unterstützen Sie uns auf dem Weg zu einem Europa im Dienste seiner Völker!

Mit unseren Verbündeten unter den Linken im Europäischen Parlament verfolgen wir überall in Europa in einem gemeinsamen Kampf eine gemeinsame Vision. Die folgenden zehn Prioritäten geben einen kohärenten politischen Kurs vor, um sowohl die Ziele als auch die Arbeitsweise der Europäischen Union grundlegend zu reformieren. Sie beinhalten insbesondere Bestimmungen, die eine Abänderung diverser Abkommen erfordern, die wir auf dem großen EU-Gipfel, den wir umgehend nach unserem Amtsantritt im Rahmen der französischen EU-Ratspräsidentschaft abhalten werden, auf den Verhandlungstisch bringen werden.

Unsere zehn Prioritäten für ein gemeinsames Europa:

Die Erhebung des Kampfes für den Klimaschutz, den Erhalt der Artenvielfalt und die Abschaffung sozialer Ungleichheiten zu einer Priorität: die Verankerung der sozialen Gerechtigkeit und der Achtung der Grenzen unserer Umwelt als zentrale Werte der Europäischen Union (mit einem Ziel von einer mindestens 65%igen Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030), die Schaffung neuer, dauerhafter und gerechter Eigenmittel zur Finanzierung von Investitionen von allgemeinem Interesse und das Stellen der Gemeinsamen Agrarpolitik in den Dienst eines kleinbäuerlichen und lebensfreundlichen Landwirtschaftsmodells.

Beendigung der Austeritätspolitik in Europa: Aufhebung der Sparhaushaltsregeln (3%-Defizit-Regel und 60%-Schuldenquote), Ermächtigung der EZB, den Staaten direkt Kredite zu gewähren sowie das Privileg, ausschließlich nachhaltige Aktivitäten zu finanzieren und der Erlass sämtlicher pandemiebedingter Schulden, damit die einzelnen Staaten massiv in die ökologische und soziale Wende investieren können.

Ausweitung sozialer Rechte: Beendigung der Ungleichbehandlung von Wanderarbeiter:innen, Gewährleistung eines europäischen Grundstocks an sozialen Rechten und Schaffung eines Rahmens für europäische Mindestlöhne, um das Lohn-Dumping zu bekämpfen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern sowie die Durchsetzung einer Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, um die Uber-isierung der Arbeitswelt über die betrügerische Nutzung des Status der Selbstständigkeit zu verhindern.

Ausrottung der Steuerflucht: Gewährleistung einer vollständigen Steuertransparenz für multinationale Unternehmen, Einführung eines Mindeststeuersatzes für Unternehmen und Einführung von Sanktionen gegen europäische Steuerparadiese und Steuerflüchtende, um den Steuerwettbewerb innerhalb der EU zu unterbinden.

Ausstieg aus der Gemeinsamen Marktwirtschaft: Überarbeitung des europäischen Wettbewerbsrechts, um die Entwicklung öffentlicher Cluster zu ermöglichen, die für alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zuständig sind, Gewährleistung des Schutzes von Gemeingütern, indem diese aus dem Wettbewerb herausgenommen werden sowie Ermöglichung der Bevorzugung der Sozial- und Solidarwirtschaft bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Einführung eines Sozial- sowie Umweltprotektionismus: Übergang von einer Freihandelslogik zu einem solidarischen Protektionismus, der die Pariser Abkommen, die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation und das Völkerrecht respektiert, Ablehnung aller neuen Abkommen, die diese Grundsätze nicht respektieren, und Einführung sozialer und ökologischer Zölle an den europäischen Grenzen, um unsere Industrie, die Arbeitnehmenden und die Umwelt vor internationalem Dumping zu schützen.

Menschen mit Migrationshintergrund würdig empfangen: Beendigung der Dublin-Verordnungen, um eine Koordination ihrer Aufnahme zwischen den Mitgliedstaaten zu bewerkstelligen, Gewährleistung der Achtung der Rechte von Exilanten und der internationalen Verpflichtungen bei Asylangelegenheiten, Beendigung der Grenzmilitarisierung, die durch die Agentur Frontex gewährleistet wird, sowie der Aufbau eines Seenotrettungskorps.

Eintritt für den Frieden: Nein zu einer an die NATO angelehnten Europäischen Verteidigungspolitik, um nicht länger Teil einer US-Strategie zur Eskalation von Spannungen rund um den Globus zu sein, Verteidigung eines multilateralen Rahmens der UNO, Unterstützung und Verteidigung des Abkommens über die Nichtverbreitung von Atomwaffen, Stopp von Waffenexporten an autoritäre Regime sowie die Förderung eines diplomatischen Dialogs auf regionaler und internationaler Ebene.

Erreichung der Gleichstellung: Anwendung der europäischen Meistbegünstigungsklausel zur Harmonisierung der Frauenrechte in Europa von oben, Aufnahme des Rechts auf Abtreibung und aller anderen sexuellen und fortpflanzungsbezogener Rechte in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und erfolgreicher Abschluss des Projekts einer umfassenden und allgemeingültigen EU-Richtlinie gegen jegliche Diskriminierung zur Bekämpfung aller Formen von Rassismus und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Behinderung, sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität.

Stärkung der Demokratie: Aussetzung der EU-Finanzierung für Mitgliedstaaten, die weder die Rechtsstaatlichkeit noch die Grundfreiheiten achten, bessere Einbindung der nationalen Abgeordneten in die europäische Entscheidungsfindung, strenge Rahmenbedingungen für Lobbys, Stärkung der Rolle der Europaabgeordneten durch Einführung eines Antragrechts des Europäischen Parlaments und Überarbeitung der Machtverteilung zwischen den EU-Institutionen, um diese demokratischer und transparenter zu gestalten, sowie Einführung neuer Formen der Beteiligung wie einer verbindlichen Europäischen Bürgerinitiative (ein europäisches ICR) und eines ständigen Bürgerberatungsgremiums.

Der notwendigen Konfrontation mit den EU-Institutionen begegnen – mittels Widerstand und der Ausübung von Macht

Wir nehmen es in Kauf, den Brüsseler Apparat zu destabilisieren, um mit ihm auf Konfrontationskurs zu gehen. Seit 60 Jahren ist die Europäische Union kein starres Konstrukt mehr: Sie ist vielmehr ein politischer Raum, der auf Machtverhältnissen und Kooperationen mit variabler Geometrie beruht. Sie wurde vor dem Hintergrund von Krisen unterschiedlicher Art und Machtspielereien zwischen Staaten aufgebaut und weiterentwickelt. Wir werden dieses Mal das gesamte Gewicht Frankreichs nutzen, um unser Programm durchzusetzen. Die Konfliktträchtigkeit gehört zur europäischen Entscheidungsfindung und unsere Gegner scheuen sich nicht, sie zu nutzen.

Diese Konfrontationsstrategie beruht auf zwei Säulen, die parallel zueinander eingesetzt werden müssen: das Kräftemessen im Europarat und der Widerstand gegenüber Regelungen, die die Umsetzung unseres Programms blockieren könnten.

Macht demonstrieren

Frankreich ist alles andere als machtlos, im Gegenteil, wir werden alle unsere Hebel in Bewegung setzen, um im Europarat das Sagen zu übernehmen:

Zu diesen wichtigen Instrumenten zählen weitere punktuell nutzbare Instrumente hinzu, mit denen der Druck auf die EU-Institutionen aufrechterhalten werden kann wie der Rückgriff auf Sperrminderheiten bei Gesetzestexten, eine konstruktive Stimmenthaltung, der Boykott von Gremien oder Sitzungen allein oder zu mehreren beziehungsweise die Verweigerung der Bestätigung von Ernennungen in bestimmte Schlüsselpositionen.

Unsere Gegner sind keine unbeschriebenen Blätter und nehmen Konflikte in Kauf, um ihre Ziele zu erreichen!

Die liberalen, rechten oder rechtsextremen Regierungen in Europa sind die ersten, die mit der EU auf Konfrontationskurs gehen, wenn sie mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind. Sie können sogar auf Erpressung zurückgreifen, um zu bekommen, was sie wollen, andere zum Nachgeben zu zwingen oder eine Veränderung zu blockieren, die sie ablehnen.

  • De Gaulle hatte einst auf die Politik des leeren Stuhls zurückgegriffen, um das Prinzip der einstimmigen Abstimmung für die wichtigsten Entscheidungen zu würdigen und auf diese Weise den „Luxemburger Kompromiss“ zu erzielen.
  • Seit Thatchers „I want my money back“ haben die britischen Konservativen durch diplomatische Schachzüge mehrere Ausnahmeregelungen (Rabatte, Arbeitszeiten, polizeiliche Zusammenarbeit usw.) erwirkt.
  • Die Niederlande, Dänemark, Schweden, Österreich und Deutschland drohten, das europäische Konjunkturprogramm zu blockieren, um ihre Rabatte (insgesamt 7,6 Milliarden Euro pro Jahr) auf ihre Beiträge zum EU-Haushalt zu bewahren oder gar zu erhöhen.
  • Polen und Ungarn taten dasselbe, um das Kriterium der Rechtsstaatlichkeit, das an den Erhalt von EU-Fördermitteln geknüpft ist, zu untergraben.
  • Das Großbritannien, Polen, Ungarn, die Slowakei beziehungsweise die Tschechische Republik führten eine Koalition an, um die Annahme einer überarbeiteten Version der Richtlinie für Wanderarbeiter durch eine Sperrminorität im Europarat zu verhindern.
  • Europäische Steuerparadiese, darunter Irland, Luxemburg und Malta, blockieren seit Jahren die geplante Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa, indem sie mit ihrem Vetorecht drohen.

Allein oder mit anderen gemeinsam handeln?

Wir werden stets Gruppeninitiativen den Vorzug geben. Frankreich kann zum Beispiel die südeuropäische Allianz mobilisieren, die sich im EuroMed 7-Club (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern und Malta) zusammengeschlossen habt, der gegründet wurde, um der Liga der „Sparerstaaten“ entgegenzutreten, die die ausgesetzten Sparregeln so schnell wie möglich wieder einführen und überall sogar noch weiter verschärfen wollen.

Wir sind aber auch bereit, notfalls allein zu handeln. Frankreich nimmt als zweitgrößte Volkswirtschaft Europas ein besonderes wirtschaftliches, aber auch demografisches, diplomatisches und historisches Gewicht innerhalb der Europäischen Union ein: Es ist an der Zeit, genau dieses zu mobilisieren, um die notwendige ökologische und soziale Wende in Gang zu setzen! Dabei werden wir immer dieselbe Linie verfolgen, indem wir die demokratische Entscheidung unserer Wähler:innen respektieren, um unser Programm umzusetzen.

Auf diese Weise können wir uns sowohl auf nationaler Ebene Handlungsspielräume schaffen als auch auf europäischer Ebene kollektive Veränderungen auslösen. Das macht Frankreich nicht zum Außenseiter. Im Gegenteil, dies bringt Frankreich auf diplomatischer Ebene für Europa wieder ins Spiel.

Die Europäische Union ist seit ihrer Gründung kein stilles Wasser.

Die Europäische Union folgt nicht dem „Friss oder stirb“-Prinzip, sondern bietet variable Handlungsspielräume, sofern man sich die Mittel verschafft, diese auch entsprechend zu nutzen. Dies ist nichts anderes als ein Beweis dafür, dass es für einige Staaten möglich ist, die europäischen Regelungen an den nationalen Volkswillen anzupassen.

Frankreich kann die Unterzeichnung neuer Freihandelsabkommen blockieren!

Obwohl immer wieder große Reden zu „Relokalisierung“ und „europäischem Protektionismus“ geschwungen werden, beharrt die Europäische Kommission mehr denn je auf dem Freihandel. Das bedeutet, dass aktuell Handelsabkommen mit 77 Ländern bestehen, die Beschlussfassung 24 neuer unmittelbar bevorsteht und sich 5 weitere bereits in Verhandlung befinden!

Dies ist jedoch sowohl in ökologischer Hinsicht (der große Umzug der Welt geht weiter) als auch in Bezug auf die Menschenrechte (denken wir an das Sozialdumping und die Ausbeutung von Arbeitern unter katastrophalen Bedingungen) ein kompletter Wahnsinn. Der Widerstand gegen Freihandelsabkommen wächst im Übrigen wohin man auch blicken mag. Über 2 000 europäische Körperschaften haben erklärt, dass sie sich nicht am Transatlantischen Freihandelsabkommen oder Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada, kurz CETA, beteiligen. Über 3 Millionen Menschen aus 14 Ländern haben die Europäische Bürgerinitiative gegen diese Abkommen unterzeichnet.

Unser Versprechen ist damit klar: Solange wir an der Macht sind, wird kein neues Freihandelsabkommen mehr in Kraft treten, das den Planeten und die Menschenrechte vernichtet. Und das ist auch gut so, denn nichts ist unmöglich!

Seit Wallonien 2016 erfolgreich das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada verhindert hat, unterscheidet die Europäische Kommission zwischen „unilateralen“ und „multilateralen“ Freihandelsabkommen (z. B. das Abkommen mit dem Vietnam).

  • Bei den sogenannten multilateralen Abkommen“ (die Mehrheit der Abkommen), die in Zuständigkeiten eingreifen, die gemäß den EU-Abkommen den Mitgliedstaaten vorbehalten sind, müssen die Staaten den Abschluss des Abkommens einstimmig genehmigen. Jede Nation verfügt also über ein Vetorecht und kann sich weigern, ein Abkommen zu ratifizieren! Dieses forderte der Klima-Bürgerkonvent von Emmanuel Macron für das CETA ein, was dieser jedoch ablehnte. Genau dies werden auch wir systematisch tun.
  • Für (seltenere) unilaterale Abkommen, die in die alleinige Zuständigkeit der Europäischen Union fallen, ist theoretisch eine qualifizierte Mehrheit erforderlich, um ein Abkommen abzulehnen, was mit Unterstützung der europäischen Zivilgesellschaft alles andere als unerreichbar ist!

In beiden Fällen werden wir somit über die notwendigen Mittel verfügen, um uns ihnen zu widersetzen. Was die bestehenden Abkommen betrifft, werden wir im Falle von Menschenrechts- oder Umweltverletzungen durch die Unterzeichnerstaaten die systematische Anwendung von Suspensionsklauseln fordern.

Wir werden uns dort widersetzen, wo es notwendig ist, um unser Programm durchzusetzen!

Sich zu widersetzen ist kein politisches Ziel an sich. Aber wir werden nicht zögern, dies zu tun, wann immer es nötig ist, und zu Beginn, wenn es sein muss, auch allein. Wir werden als Wegweiser für andere Mitgliedstaaten fungieren, um Ausnahmen für die Einen oder generelle Verbesserungen für alle 27 Mitgliedstaaten zu erwirken.

Widerstand kann sich in verschiedenen Formen äußern:

Frankreich hat das Recht, sich auf alleinigen Beschluss aus bestimmten Programmen zurückzuziehen.

Mehrere Länder durften ihre Opt-out-Option wahrnehmen und sich bestimmten EU-Maßnahmen enthalten. De facto wurden bestimmte Regelungen nie auf sie angewendet!

Frankreich könnte sich auf seine alleinige Entscheidung hin aus Programmen zurückziehen, an denen es nicht teilnehmen möchte (wie z. B. die Europäische Verteidigungspolitik).

Widerstand muss sein und ist legal!

Einige europäische Regelungen stehen im Widerspruch zu internationalen Bestimmungen, zu deren Einhaltung sich Frankreich verpflichtet hat, beziehungsweise bestimmten auf nationaler Ebene getroffenen Bestimmungen. Von da an können wir uns jenen Regelungen widersetzen, wobei wir uns stets an das gleiche Prinzip halten: den anspruchsvollsten sozialen, ökologischen und demokratischen Rechten den Vorrang zu geben.

In Deutschland zögerte das Amtsgericht Karlsruhe nicht, das EU-Recht unter Berufung auf das deutsche Grundgesetz infrage zu stellen. Seit 15 Jahren und erst kürzlich wieder bekräftigte der französische Verfassungsrat auch seine Befugnis, Europäische Rechtsverordnungen außer Kraft zu setzen, sofern diese gegen die Regeln und Grundsätze verstößt, die der französischen Verfassungsidentität innewohnen. Der Verfassungsrat hat dies selbst in einer Entscheidung vom 15. Oktober 2021 in Erinnerung gerufen, in der er sich auf die Verfassungsidentität beruft, um einer französischen Rechtsnorm Vorrang vor einer europäischen Norm einzuräumen, nämlich dem Verbot, die Ausübung der öffentlichen Gewalt an Privatpersonen zu delegieren. Die französische Regierung wird sich nicht scheuen, ebenso vorzugehen und sich auf die Präambel der Verfassung von 1946 zu berufen, um öffentliche Wirtschaftscluster zu bilden und Schlüsselsektoren wie die Energiewirtschaft aus der europäischen Logik des Wettbewerbs herauszulösen. In der noch heute gültigen Präambel von 1946 heißt es nämlich: „Jedes Gut, jedes Unternehmen, dessen Betrieb den Charakter einer nationalen öffentlichen Dienstleistung oder eines De-facto-Monopols hat oder erlangt, muss zum Eigentum der Öffentlichkeit werden“.

Widerstand zieht andere in seinen Bann!

Durch Widerstand und Auflehnung können Präzedenzfälle geschaffen werden, die die EU-Institutionen dazu zwingen, Ausnahmeregelungen oder Sonderstati zu gewähren und diese Maßnahmen schließlich sogar auf alle Mitgliedstaaten auszuweiten.

Unsere Gegner haben nicht auf uns gewartet, um Widerstand zu leisten.

Widerstand ist in Frankreich ein Tabuwort, während er in vielen anderen Mitgliedstaaten insbesondere von unseren liberalen oder rechtsextremen Gegnern immer wieder zu politischen Zwecken eingesetzt wird.

Wenngleich oft auf Kosten der menschlichen, ökologischen oder sozialen Rechte …

  • Polen und Ungarn stellen die Rechte von LGBTI-Personen und Exilanten in Abrede und greifen die Unabhängigkeit der Justiz an.
  • Italien erfüllt nicht die europäischen Trinkwassernormen.
  • Deutschland hat die europäischen Anforderungen an die Luftqualität nicht erfüllt.
  • Ungarn hält sich nicht an die europäischen Vorschriften für die Aufbereitung von kommunalem Abwasser.

Und Macron hört genauso gern weg, wenn es ihm in den Kram passt! Und das, wenn es zum Beispiel um

  • die europäischen Luftqualitätsnormen (und das trotz gerichtlicher Verurteilungen!) geht,
  • die Arbeitszeitrichtlinie, die er auf das Militär nicht anwenden will,
  • die Anforderungen des Datenschutzes, die er ignoriert, indem er die generelle Aufbewahrung von Zugangsdaten unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus beibehält,
  • die Hauptuntersuchungspflicht bei Zweirädern, deren Umsatzerlass für, 2023 er vorübergehend aufhob,
  • oder das Verbot bestimmter „wahlloser“ Jagdpraktiken wie die „Leimjagd“!

… Aber auch wenn es darum geht, sich nicht die wirtschaftliche Zwangsjacke anziehen zu müssen, die sie selbst geschaffen und hoch und heilig verteidigt haben!

Die Liberalen verteidigen auf Teufel komm raus jene absurden wirtschaftlichen Zwänge, die den Mitgliedstaaten vom Europäischen Semesters auferlegt wurden. Und davon insbesondere jene hochgelobte, willkürliche 3%-Defizit-Regelung, die eines Tages aus dem Ärmelloch gezogen wurde, ohne dass je jemand ihre wirtschaftliche Sinnhaftigkeit begründen konnte.

Internationaler Wettstreit, Sparmaßnahmen, staatliche Beihilfen: Viele dieser, wenngleich während der Gesundheitskrise aufs Eis gelegten Regelungen sind vor allem insofern gefährlich, als sie die Staaten am Handeln hindern. Viele liberale Regierungen gehorcten ihnen wenngleich schon lange nicht mehr!

Wir sind bereit, diese Strategie in die Tat umzusetzen!

Diese Strategie ist nicht nur glaubwürdig, sondern auch realistisch: Wir haben möglichen Reaktionen des Finanzsektors und der EU-Verwaltungsorgane vorgegriffen und sind nunmehr bereit, ihnen entgegenzutreten.

Den Finanzzwängen standhalten

Die Finanzsphäre steht nicht im Dienst der realen Wirtschaftswelt. Im Gegenteil, ihre Machenschaften sind zunehmend spekulativ, und das auch Mitgliedsstaaten gegenüber, wie es die Angriffe auf Griechenland 2008 und auf Italien oder Spanien 2020 gezeigt haben. Die Umsetzung eines politischen Programms, das den Interessen der Finanzwelt feindlich gesinnt ist und mit der europäischen Wirtschaftsstrategie bricht, kann zu Versuchen der Märkte oder Ratingagenturen führen, neue Machtkämpfe zu schaffen.

Wir wissen, wie wir unsere Finanzierungsmöglichkeiten bewahren können

Angesichts einer möglichen Gefährdung der Kreditaufnahmefähigkeit Frankreichs werden wir unilaterale Maßnahmen ergreifen, um uns weiterhin die notwendigen finanziellen Mittel zu sichern:

Die Europäische Zentralbank sieht sich zunehmend gezwungen, angesichts der Marktentwicklung zugunsten der Mitgliedsstaaten zu agieren.

Wir haben ein solches Maß an Verflechtung unserer Volkswirtschaften erreicht, dass die Europäische Zentralbank (EZB) sich dabei wiederfindet, die Zinssätze der einzelnen Mitgliedsstaaten auf den Märkten verteidigen zu müssen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie die Verfassungen missachtet! Die Abkommen verbieten es der EZB grundsätzlich, Staaten Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Aufgrund einer Reihe von Krisen war die EZB jedoch dazu gezwungen, sich von diesem Grundsatz außer Acht zu lassen.

Auf Frankreich entfallen 20 % des BIPs der Eurozone. Spekulativer Angriffe auf die Staatsschulden Frankreichs wären wesentlich gefährlicher für die gesamte Eurozone als im Falle Griechenlands. Die EZB wird das Risiko eines solchen Zusammenbruchs der europäischen Finanzwirtschaft und des Untergangs des Euro nicht eingehen.

Den Retorsionsmaßnahmen der Europäischen Institutionen trotzen

Ein Nichtbefolgen des EU-Rechts geht außerdem mit dem theoretischen Risiko einher, dass die EU-Institutionen überwiegend finanzielle Sanktionen verhängen:

Seltene, verspätete, anfechtbare und feilschbare Sanktionen

Die Sanktionsbereitschaft unterliegt in erster Linie politischer Machtverhältnisse und bleibt oft nur Theorie. Leider!

Ganz einfach weil auch wir über Druckmittel verfügen.

Deshalb sind mehrere massive Sanktionen gleichzeitig gegen Frankreich als unwahrscheinlich zu betrachten. Die Logik dieses Machtkampfes und Widerstands besteht darin, Ausnahmestati zu erwirken.

Sollten die EU wenngleich tatsächlich Sanktionen gegen Frankreich verhängen, haben wir auf jeden Fall die notwendigen Druckmittel, um ihnen Stirn zu bieten.

SCHLUSSFOLGERUNG: Unser Plan ist glaubwürdig und ernst zu nehmen!

Unsere Strategie sieht einen seriösen und glaubwürdigen Plan vor, um die Hindernisse zu umgehen, die die aktuellen EU-Vorschriften für die Umsetzung unseres Programms darstellen. Sie ist unser Garant für Glaubwürdigkeit und Vertrauen: Mit uns gibt es keine bösen Überraschungen oder einen neuen Schlag wie den von Le Bourget, bei dem die Finanzwelt zum Feind auserkoren wird, bevor man sich erneut ihr beugt. Wir sagen klar, was wir vorhaben und wie wir unsere Vorhaben letztendlich umzusetzen gedenken.

Dies steht im Gegensatz zu den konventionellen Reden über Europa, die wir in Frankreich in wohl allen Wahlkämpfen hören. Machen wir Schluss mit dem Unsinn über ein Europa, das unserem Schutz dient, wenn die Europäische Union die Demontage unseres Produktionsapparats, die Zerstörung unserer öffentlichen Dienstleistungen, die Zerschlagung unserer ökologischen Planungsinstrumente und die Aushöhlung unseres Sozialmodells organisiert. Es reicht mit den leeren Versprechungen und dem Fehlen einer glaubwürdigen Strategie zu der sei 40 Jahren versprochenen Umsetzung eines sozialen Europas. Vorbei mit dem fehlenden Mut der politischen Entscheidungsträger; die nicht in der Lage sind, Frankreich in den europäischen Machtverhältnissen nicht ausreichend Gewicht zukommen zu lassen.

Wir setzen auf die Entschlossenheit und die kollektive Mobilisierung des Volkes, um Frankreich und Europa eine andere Art Zukunft zu sichern. Denn wie Saint-Just schon sagte: Das Glück ist ein neuer Gedanke in Europa!

„DIE EUROPÄISCHEN BLOCKADEN IN DER PRAXIS ÜBERWINDEN: 5 FALLBEISPIELE“

Um universelle öffentliche Dienstleistungen von hoher Qualität in Bürgernähe wieder aufzubauen, gilt es erstmal die Sparmaßnahmen des Europäischen Semesters abzulehnen.

Innerhalb von 20 Jahren wurden unsere öffentlichen Dienste, die immerhin eine Säule des französischen Sozialstaats ausmachen, auf das Minimum abgebaut. Die Pandemie zeigte uns das Ausmaß jener Katastrophe im Gesundheitssystem, wo es vehement an Arbeitskräften und Material mangelte. Doch ist die Lage in allen öffentlichen Diensten die gleiche. Die Schülerzahlen in den Klassen explodieren aufgrund von Lehrermangel, die Unterrichtsräume in den Schulen veralten genauso das Unterrichtsmaterial. Zugverbindungen für Pendler werden vom Fahrplan genommen, Schalter und Bahnhöfe geschlossen. Postbüros verschwinden. Die Fahrt zur nächstgelegenen Familienbeihilfestelle (CAF) dauert Stunden. Gerichtsverfahren sind mit immer längeren Wartefristen verbunden.

Die Lage, in der sich unsere öffentlichen Dienste heute befinden, kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist auf eine ultra-austeritäre Wirtschaftspolitik zurückzuführen, die von der Europäischen Union und ihrem Kontrollinstrument der nationalen Haushalte, dem Europäischen Semester, vorangetrieben wird und den französischen Staatspräsidenten in Folge – Sarkozy, Hollande und Macron – befürwortet wurde beziehungsweise wird. Die Staatsverschuldung ist ein wenig zu hoch? Dann muss das Budget der öffentlichen Krankenhäuser gekürzt oder besser gesagt „unter Kontrolle“ gebracht werden. Das Staatsdefizit ist ein wenig zu hoch? Dann muss im Budget der öffentlichen Bahn SNCF „gespart“ werden. Und sollte sich ein Staat weigern, dann muss er mit finanziellen Sanktionen rechnen. So steht es auf jeden Fall auf dem Papier. Seit der Einführung dieses Mechanismus im Jahr 2011 wurden die europäischen Haushaltsregeln nicht weniger als 171 Mal verletzt, ohne dass Sanktionen verhängt wurden.

Wir sind bereit, über neue volkswirtschaftliche Regeln zu diskutieren, die mit der Finanzierung des Sozialstaats und der ökologischen Bifurkation vereinbar sind. In der Zwischenzeit werden wir uns jedoch weigern, uns den Empfehlungen der Kommission seitens des Europäischen Semesters und wirtschaftlichen Dogmen ohne demokratische Grundlage zu beugen. Wir werden unsere Absicht ankündigen, die absurden Regeln, die unser Staatsdefizit und unsere Staatsverschuldung in die Höhe treiben, nicht mehr einzuhalten, indem wir uns notfalls auf andere Verpflichtungen berufen, die uns zwingen, z. B. in den Klimaschutz zu investieren, wie das Pariser Abkommen und das Europäische Klimagesetz. Und sollten uns finanzielle Sanktionen auferlegt werden, werden wir diese kurzerhand von unseren Beitragszahlungen zum EU-Haushalt abziehen.

Wir wollen allen Zugang zu bezahlbarer und nachhaltiger Energie garantieren können und dazu schlimmstenfalls Wettbewerbsregeln missachten.

Seit der Öffnung für den Wettbewerb sind die Strompreise in Frankreich um mindestens 60 % gestiegen, und mit ihnen die Energiesorgen: Immer mehr Haushalte haben Schwierigkeiten, ihre Stromrechnungen zu bezahlen, heizen deshalb weniger und frieren aus Angst, dass man ihnen am Ende einfach den Strom abstellt.

Diese unzumutbare Situation ist das Ergebnis einer weiteren Marotte der Europäischen Union: der Öffnung des Energiesektors der Konkurrenz. Bereits 1999 begann die Europäische Union mit dem Aufbau eines großen Energiebinnenmarktes und versprach, dass dieser die Preise senken würde. Selbstverständlich wurde dieses Versprechen nie erfüllt. Stattdessen wurde das Energiemanagement privaten Akteuren überlassen, die mehr auf Rentabilität und Profit als auf Preisstabilität bedacht waren, und entgegen die öffentlichen Akteure arbeiteten.

Angesichts einer erneuten Explosion der Gas- und Strompreise im Jahr 2021 haben Staaten wie Spanien und Italien unverzüglich Maßnahmen zur Preiskontrolle ergriffen, selbst auf die Gefahr hin, gegen die europäischen Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Angesichts des Ausmaßes der Krise und der Reaktionen der einzelnen Staaten sah sich die Europäische Kommission gezwungen, diese Maßnahmen zu akzeptieren und zu genehmigen, wenngleich nur auf zeitlich begrenzter Basis.

Die Europäische Kommission stellt also den Energiebinnenmarkt nicht infrage, obwohl dieser wohl oder übel der Kern des Problems darstellt: Energie ist ein Allgemeingut, das nicht gehandelt werden darf. Wir schlagen vor, diesen Sektor zu erneut zu verstaatlichen und den durch die Öffnung der Konkurrenz komplett zusammengebrochenen öffentlichen Energiepol wieder aufzubauen. Dies wird zwar einen Bruch des europäischen Wettbewerbsrechts erfordern, aber der einzige Weg zur vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energie, zu einer wiedergewonnenen Preisstabilität und einer Versorgungssicherheit für alle – einschließlich der am meisten gefährdeten Haushalte – sein.

Neuausrichtung des Empfangs von GAP-Fonds auf die Bereitstellung gesunder und nachhaltiger Lebensmittel

Die Agrarpolitik der EU bestimmt die europäische Nahrungsmittelwirtschaft und darf sich einer katastrophalen Bilanz mit unzufriedenen Landwirte, einer mit weiter sinkenden Anzahl an Landwirten, dem Klimawandel, einem Zusammenbruch der Artenvielfalt, einer zunehmenden Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung sowie immer noch jeder Menge an Tierleid rühmen.

Sie stellte für den Zeitraum 2014–2020 mit 408 Milliarden Euro den größten Ausgabenposten der EU dar. Nicht nur deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, Budgetmittel auf Länderebene bewusster einzusetzen und dabei alle Spielräume zu nutzen, die den Mitgliedstaaten bei der Entscheidung über die Mittelverwendung bleiben.

Österreich hat die zum Teil bereits als Notwendigkeit anerkannt, indem man mehr als 25 % seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche für den Bioanbau nutzt und die EU-Ziele für 2030 schon heute übertrifft. Macron und sein Landwirtschaftsminister planen stattdessen, im Rahmen ihres Nationaler Strategieplans (Plan stratégique national , PSN), der den GAP-Fonds auffangen soll, erst den Status quo zu erhalten, was die agroindustrielle Flucht nach vorn nur noch weiter fördert.

Wir stattdessen verpflichten uns, wenn wir an die Macht kommen, die 10 Milliarden Euro pro Jahr, den französischen Mitteln aus der GAP, zu ergreifen, um sie für eine gewaltige Beschleunigung des agrarökologischen Transformationsprozesses einzusetzen. Auf diese Weise wird es uns möglich sein, die ökologische Landwirtschaft zu unterstützen, die Niederlassung neuer Landwirte zu fördern, den Tierschutz zu erhöhen und den von der GAP oftmals vergessenen Landwirten wie die Obst- und Gemüsebauern endlich unter die Arme greifen und dem ungerechten System der Beihilfenkalkulation nach ha ein Ende setzen, um die geldlichen Hilfsmittel gerechter auf kleine und mittlere Bauernhöfe umzuverteilen.

Wir müssen uns auch den europäischen Vorschreibungen widersetzen, die eine Kommerzialisierung der Landwirtschaft verfolgen, und unilateral protektionistische Maßnahmen einführen, um ökologisches und gesundheitliches Dumping innerhalb der EU zu verhindern. Das bedeutet, dass wir im Namen des Vorsorgeprinzips beispielsweise den Einsatz bestimmter Pestizide verbieten wollen, wie es Frankreich bereits mit Titandioxid getan hat.

Arbeitnehmerschutz: Schluss mit den Wanderarbeiter:innen

Wanderarbeit führt zu Konkurrenz unter Arbeitnehmenden, verschlechtert ihre Arbeitsbedingungen und schadet den teuer verdienten kollektiven Schutz. Sie ermöglicht es Unternehmen, ausländische Arbeitnehmende in Frankreich zu beschäftigen, wobei sie die im Herkunftsland vorgesehenen Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Wobei diese Beiträge jedoch oft extrem niedrig sind oder es sie in einigen europäischen Staaten erst gar nicht gibt! Die Wanderarbeit „diskriminiert“ sozusagen ausländische Arbeitnehmende, die die gleiche Arbeit wie ihre einheimischen Kolleg:innen leisten, was zu einem unlauteren Wettbewerb gegenüber den französischen Arbeitnehmenden führt sowie allgemein zu einer Minderung des sozialen Standard. Erlassungen und Verordnungen kodifizieren die Praktiken des Sozialdumpings, die mit dieser Art von Regime zur Norm werden; jenem, das die Menschen eher als bloße Dienstleister denn als mobile Arbeitskräfte betrachtet und die Verringerung des sozialen Schutzes seiner Arbeitnehmenden nicht weiter kümmert.

Wanderarbeiter:innen sind regelmäßig mit Verstößen gegen das Arbeits- und Sozialrecht konfrontiert: Nichteinhaltung der Höchstarbeitszeit und/oder des Mindestlohns, Nichtanerkennung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, Nichtabführung von Sozialabgaben usw. Das System beruht hauptsächlich auf einer Logik der Auftragsvergabe, bei der die rechtliche Verantwortung und die Verpflichtungen des Arbeitgebers bewusst im Unklaren gehalten werden. Nicht zuletzt verhindert die Komplexität des Systems eine wirksame Kontrolle jener Praktiken oder eine gewerkschaftliche Reaktion auf diese massiven Betrügereien.

Wir warten mit einer „schlüsselfertigen“ Lösung auf, mit der ein neues System eingeführt werden kann, das den Arbeitnehmenden die Rechte zurückgibt, die ihnen zustehen. Frankreich wird eigenständig beschließen, diese Richtlinie nicht mehr anzuwenden, und einen neuen Rechtsrahmen für die betroffenen Arbeitnehmenden zu schaffen. Wir stützen uns dabei vor allem auf die Tatsache, dass die Richtlinie das von Frankreich ratifizierte IAO-Übereinkommen 97 über Wanderarbeiter nicht respektiert.

Entsprechend wird das Wanderarbeitsregime abgeschafft und der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmenden wieder hergestellt. Die Beiträge würden erst an das Gastland gezahlt werden und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses an das Herkunftsland des Wanderarbeiters weiterüberwiesen. Dieses Vorgehen würde durch eine Ausweitung des Wanderarbeiterschutzes während ihres Aufenthalts im Gastland (Anrecht auf Krankengeld, Arbeitsunfallversicherung) ergänzt werden.

Rückholung des unterschlagenen Geldes aus der Steuerflucht und Beendigung der Straflosigkeit für die europäischen Steuerparadiese

Die Steuerflucht von Schwerreichen und multinationalen Konzernen ist seit jeher eine Plage. Sie treibt ganze Staaten in den Ruin und entzieht ihnen Steuereinnahmen, die für die Bewältigung von Umweltproblemen und im Sinne der Gerechtigkeit einfach unerlässlich sind. Sie untergräbt die Beitragsbereitschaft des Steuerzahlers, indem sie unweigerlich den Blick auf einige Privilegierte lenkt, die sich zurückziehen und weigern, ihren Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten.

Die Europäische Union hat leider keine Antwort auf diese Fälle von Steuerhinterziehung. Im Europarat blockieren die allbekannten europäischen Steuerparadiese sämtliche Versuche einer Steuerharmonisierung. Schlimmer noch: Die EU-Vorschriften erlauben es nicht, EU-Mitgliedsländer auf die Liste der europäischen Steuerparadiese zu setzen! Die Europäische Union akzeptiert ihren eigenen Bankrott zugunsten jener Länder, die von dieser Steuerflucht leben.

Noch ist nicht alles verloren. Wir müssen von unseren europäischen Partnern verlangen, dass sie ihren Nachbarländern die Steuereinnahmen zugestehen und ihr eigenes Steuermodell entsprechend anpassen. Frankreich ist nicht der einzige Staat, der am Egoismus der europäischen Steuerparadiese verzweifelt. Nichts hält uns davon ab, diesbezüglich eine Koalition aufzubauen, um im Parlament gemeinsam Druck zu machen. Auch für einen einzelnen Staat gibt es Möglichkeiten: Wir können damit drohen, die Haushaltsrabatte, die einige Steuerparadiese genießen, zu blockieren, oder im Extremfall gemeinsam oder gar alleine beschließen, die Betrügerländer zu bestrafen.

Parallel dazu werden wir eine Universalsteuer auf die Reichsten in Frankreich und auf multinationale Konzerne einführen, die in Frankreich tätig sind, ohne ihren Pflichtanteil an Steuern zu zahlen. Bei einem Steuersatz von 25 % würde Frankreich 26 Milliarden Euro pro Jahr gewinnen können. Das könnte wiederum andere Staaten dazu bringen, es uns gleichzutun!

Glossar:

EU-Gipfel: Zusammentreffen der europäischen Staatschefs

Einstimmigkeitsregel: Demokratisches Abstimmungsverfahren, nach dem ein neuer Gesetzestext nur dann verabschiedet werden kann, wenn alle Mitgliedsstaaten ihm zustimmen.

Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit (BQM): Eine qualifizierte Mehrheit kommt dann zustande, wenn 55 % der Mitgliedstaaten dem Vorschlag zustimmen, wobei diese zusammen mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen müssen.

Sperrminorität: Staaten, die zusammen 35 % der europäischen Bevölkerung repräsentieren, können die Annahme eines Textes blockieren.

Rotierende EU-Ratspräsidentschaft: Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union rotiert alle sechs Monate zwischen den EU-Mitgliedstaaten gemäß einer festgelegten Reihenfolge. 2022 übernimmt Frankreich die EU-Präsidentschaft.

Europäische Kommission: Die europäische Exekutivgewalt, die die Gemeinschaftspolitik vorschlägt und zur Umsetzung bringt.

Europaparlament: Parlamentarische Versammlung, die die europäischen Bürger:innen vertritt.

Gemeinsame Agrarpolitik (GAP): EU-Politik zur Entwicklung einer gemeinschaftlichen Landwirtschaft und den Landwirten in den Mitgliedstaaten Unterstützung bietet.

Konferenz zur Zukunft Europas: Befragung der europäischen Bürger:innen zu den Zielen, der Politik und den Gemeinschaftsorganen.

3%-Regel: Haushaltskriterium, das von den Mitgliedstaaten verlangt, ihr öffentliches Defizit unter 3 % des BIPs zu halten.

Opt-out-Regelung: Ausnahmeregelung, die es einem Mitgliedstaat erlaubt, sich (vorerst) nicht an der Zusammenarbeit in einem Bereich der EU-Politik zu beteiligen.