VORWORT VON JEAN-LUC MÉLENCHON
Ehrlich, wer von uns glaubt noch an die großartigen Versprechungen eines sozialen, ökologischen und demokratischen Europas, die jede neue Präsidentschaftswahl begleiten?
Na ja, viele sind es nicht. Zwanzig Jahre Abbau der öffentlichen Dienste und Minderung der Arbeitnehmerrechte, massive Umweltverschmutzung, unkontrollierter Wettbewerb und Privatisierung um jeden Preis haben die europäischen Völker gegen die europäischen Einrichtungen ausgespielt.
Die wahre Geschichte der Europäischen Union liegt in einer tiefen Täuschung und seit 2005 in einer Usurpation. Denn obwohl sich seit die Europäische Union seit ihrer Gründung in ihrer politischen Natur, ihrer Geografie und ihrer geopolitischen Bedeutung verändert hat, wurde in der jüngsten Geschichte wiederholt eine gewisse Grenze überschritten. Seit dem „Nein“ zweier der sechs Gründerstaaten im EU-Referendum 2005 zur Europäischen Verfassung, das in Frankreich durch einen parlamentarischen Beschluss in ein „Ja“ umgewandelt wurde, ist die Europäische Union, wie wir sie heute kennen, ein illegitimes Gefüge in Hinblick auf die Souveränität des französischen Volkes.
Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2022 erfordern, dass wir uns ernsthaft mit unserer Beziehung zur Europäischen Union und unserer politischen Strategie auseinandersetzen.
Dabei geht nicht darum, sich die Frage zu stellen, wie das ideale Europa aussehen würde.
Stattdessen geht es darum, sich die Mittel zu erkämpfen, um ein Programm des ökologischen, demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs in Frankreich auf die Beine zu stellen, auch wenn dieses gegen die europäischen Bestimmungen verstößt. Wir lehnen die absurde Pro- oder Kontra-EU-Debatte, für die sich Emmanuel Macron einsetzt, vehement ab. Natürlich bleiben wir unserer historischen Tradition – die des Internationalismus – weiterhin treu; Natürlich befürworten wir internationale Kooperationen, wenn sie die Lebensbedingungen verbessern und es ermöglichen, politische Herausforderungen gemeinsam zu meistern! Dennoch lehnen es ab, dem französischen Volk aufzuzwingen, was es einst abgelehnt hat und wir lehnen ab, uns dem ökologischen und sozialen Fortschritt in den Weg zu stellen.
Wir schlagen einen entsprechend anderen Weg vor: Wir wollen die Volkssouveränität in Europa strikt respektieren und unter allen Umständen das Prinzip einer ökologischen und sozialen Regressionsfreiheit durchzusetzen. Das Ziel, das wir uns setzen, ist einfach: auf Ebene des ökologischen und sozialen Fortschritts nur das Beste zu bieten. Und unser Engagement klar: Wir wollen unser Programm umsetzen, und zwar vom Anfang bis zum Ende.
Um unser Ziel umsetzen zu können, stützen wir uns eine EU-Strategie, mit der wir erst jene europäischen Vorschriften identifizieren, die die Umsetzung unseres Programms behindern, um infolge dessen eine Methode vorzuschlagen, diese Blockaden zu beseitigen. Diese verlangt sowohl den Aufbau eines Machtgefüges als auch den unilateralen Aufruf auf Nichtbefolgen jener Vorschriften.
Die gesamte Geschichte der Europäischen Union wird aus dieser Art Machtverhältnisse und Kooperationen wenngleich mit variabler Geometrie geprägt: Es ist an der Zeit, dass auch wir sie nutzen, um uns die notwendigen Mittel zur Umsetzung unseres Programms zu beschaffen. Andernfalls würde man sich zu den Wahllügen und dem Verrat früherer Regierungen verurteilen.
Unsere Gegner haben das schön längst verstanden und immer wieder neue Schlupflöcher gefunden, um das zu erreichen, was sie wollten: Das französische Volk hat auch die nötigen Mittel, seinen Willen durchzusetzen, indem es sich auf das Mandat des Volkes stützt, das sich aus unserem ambitionsreichen Programm „L’Avenir en commun“ ergibt.
Sich der wahren Lage, in der sich die Europäische Union befindet, bewusst sein
Die katastrophale Bilanz Macrons Fünfjahresperiode zum Thema Europa
Emmanuel Macron hält sich zwar selbst für einen Europa-Champion, doch kann seine Europapolitik kurzerhand als Katastrophe betrachtet werden. Hat er nicht in allem nachgegeben: dem Buchführungswahn der nordeuropäischen Regierungen ebenso wie den autoritären Entgleisungen der osteuropäischen Regierungen. Seine großen Reden zum Thema Klima und Ungleichberechtigung wurden einfach nie in die Tat umgesetzt. Seine Regierung hat sich in schändliche Bündnisse verstrickt, um die wenigen Maßnahmen für den menschlichen und ökologischen Fortschritt zu sabotieren. Und seine Konferenz zur Zukunft Europas, die auch als „große Debatte“ hingestellt wird, die die europäischen Völker mit dem Konzept der Europäischen Union versöhnen soll, ist ebenso eine Farce wie ein demokratischer Flop.
Macron hat in allem nachgegeben.
- Er stellte sich nicht gegen die geizigen Staaten auf: Im Gegenteil, er gewährte ihnen sogar mit einem Rabatt von 53 Milliarden Euro über sieben Jahre auf ihre EU-Beitragszahlungen;
- Er verabschiedete ein gar winziges Konjunkturpaket, das dreimal kleiner war als das vom Europäischen Parlament geforderte und überwiegend aus Krediten bestand;
- Er legitimierte die goldene Regel des 3%-Defizits, die er angeblich reformieren wollte, indem er akzeptierte, dass das Geld für den „wirtschaftlichen Aufschwung“ von austeritären Strukturreformen abhängig gemacht wird.
- Er ging vor autoritären Staaten in die Knie, indem er zustimmte, den Mechanismus zur Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu schwächen, der sicherstellen sollte, dass die Grundfreiheiten und demokratischen Grundprinzipien nicht mehr angegriffen werden können.
- Er hat den Status des ins Ausland entsandten Arbeitnehmenden und damit das Dumping trotz aller Versprechungen aufrechterhalten. Dadurch hat sich ihre Situation sogar noch verschlimmert: Die Zulagen für Unterkunft, Verpflegung und Transport werden seit 2018 an das Herkunftsland angeglichen!
- Auf den Druck vor allem Deutschlands hin stimmte er der Aushandlung neuer Freihandelsabkommen zu und versprach gleichzeitig die Rückverlagerung strategischer Branchen.
- Er nutzte die Konferenz über die Zukunft Europas zu einer reinen Stimmungsmache ohne das klare Ziel einer Revision der betreffenden Abkommen.
Macron hat hinter den Kulissen das Schlimmste erkämpft
- Er kämpfte Hand in Hand mit den Großunternehmern, um eine ehrgeizige Richtlinie zur Steuertransparenz multinationaler Konzerne zu untergraben.
- Er manövrierte, um die EU-Elternurlaubsrichtlinie zu blockieren, die er als „zwar hübsche Idee“ bezeichnete, „die allerdings sehr teuer werden kann und damit unhaltbar wird“ bezeichnete.
- Er hat sich mit dem rechtsextremen Viktor Orbán in Ungarn und der autoritären Regierung in der Tschechischen Republik zusammengetan, um Erdgas und Atomkraft auf europäischer Ebene als grüne Energien (dem zukünftigen europäischen Siegel für ökologische Nachhaltigkeit) zu versteuern.
- Er machte den niederländischen Premierminister Mark Rutte zu seinem bevorzugten Verbündeten im Europarat, obwohl dieser an der Spitze eines der größten Steuerparadiese Europas steht und dem restlichen Europa gleichzeitig Sparmaßnahmen aufzwingen will.
- Er sieht sich als Weltchampion, erfüllte für Frankreich aber keines der von der Europäischen Union festgelegten Umweltschutzziele, und das weder in Bezug auf das Klima, die Luftqualität noch die Erhaltung der Artenvielfalt.
- Er deckte die undurchsichtigen Verträge mit den Pharmaunternehmen bei der Bewältigung der Gesundheitskrise und ließ dann jedoch davon ab, die internationalen Maßnahmen zur Aufhebung der Impfstoffpatente auf Impfstoffe zu befürworten.
- Er versuchte, die von der Europäischen Kommission am 9. Dezember 2021 vorgeschlagenen Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, zu sabotieren. Er plant, die französische EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um die Verabschiedung dieser Richtlinie zu verzögern, und stellt sich damit gegen einen der wenigen sozialen Fortschritte, die von der EU überhaupt vorgeschlagen wurden.
2022 – die Chance für eine bahnbrechende Ratspräsidentschaft Frankreichs
Die Europäische Union darf 2022 einen Wendepunkt erwarten
- Frankreich hat von Januar bis Juni 2022 die Präsidentschaft des Europarates inne. Der neu gewählte französische Präsident kann also die Arbeitsschwerpunkte der EU auswählen, was nur einmal in 14 Jahren der Fall ist. Wir werden deshalb, sobald wir an der Macht sind, einen großen EU-Gipfel abhalten.
- Europa wird sich 2022 entscheiden müssen, ob es die während der Gesundheitskrise eingefrorenen Verordnungen wieder in Kraft setzt, und zwar sowohl in Bezug auf seine Kontrollfunktion gegenüber den Staatshaushalten als auch im Rahmen öffentlicher Beihilfen für Unternehmen.
- Europa wird sich entscheiden müssen, ob es den Beitrittsprozess der Balkanländer zur Europäischen Union beschleunigen oder stoppen will, beziehungsweise ob man einer Erweiterung der Europäischen Union ohne vorherige soziale Harmonisierung nachgehen will.
- Die von Emmanuel Macron gutgeheißene Konferenz über die Zukunft Europas wird voraussichtlich nicht eine bedeutende Änderung der EU-Abkommen nach sich ziehen, obwohl dies von der europäischen Bevölkerung weitgehend erwartet wird.
Die EU-Verwaltungsorgane sind geschwächt wie noch nie zuvor
- Der Europarat und mit ihm die europäischen Staatschefs sind gespalten und wird nicht in der Lage sein, sich gegen die Einführung einer Volksregierung in Frankreich zu verbünden:
- Merkels Herrschaft geht zu Ende und ihr Nachfolger Olaf Scholz wird durch die Unstimmigkeiten in den Rängen der von ihm gebildeten Regierungskoalition geschwächt sein.
- Südeuropa wird keine Wiederholung der europäischen Antwort auf die Krise von 2008 akzeptieren, in der die Sparwut der EU ganze Länder in eine schlimme Lage gebracht hatte.
- Die reaktionäre extreme Rechte destabilisiert die europäischen Institutionen, und die Angriffe auf die Grundfreiheiten und die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen bringen genau diese Spannungen zum Ausdruck.
Die Europäische Kommission war noch nie so schwach:
- Ihre Präsidentin Ursula Von der Leyen war mit einer sehr knappen Mehrheit (383 Stimmen, nur 9 über der notwendigen Mindestanzahl) in ihr Amt gewählt worden.
- Sie war nicht in der Lage, die gesundheitspolitischen Reaktionen der Mitgliedstaaten zu koordinieren und ihre an die Pharmaunternehmen gestellten Bedingungen durchzusetzen.
- Ihre unbeholfenen und schlecht koordinierten Versuche, eine geopolitische Existenz aufzubauen, haben sie auf internationaler Ebene wie etwa gegenüber Erdogan oder Putin wiederholt geschwächt.
- Ihre Hilflosigkeit gegenüber der Infragestellung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen hat autoritären rechtsextremen Regierungen die Möglichkeit gegeben, an Einfluss zu gewinnen.
Die wiederholt angefochtene europäische Ideologie des freien Marktes ist zum Scheitern verordnet
Die Europäische Industrie in Gefahr:
- Der freie Handel hat zu einer wahren Deindustrialisierungs-Katastrophe geführt: Europa war nicht einmal in der Lage, medizinische Grundausrüstung (wie Masken, Tests usw.) oder gar Impfstoffe herzustellen.
Die EU scheitert an der Klimakrise:
- Der freie, unverzerrte Wettbewerb und die kompromisslose Beherrschung des Marktes haben sich als völlig unwirksam erwiesen, wenn es darum geht, eine Kursänderung unseres Produktionsmodells herbeizuführen. Das Ergebnis: Die Europäische Union hält ihre Klimaziele nicht ein, sodass diese weit hinter den Empfehlungen des IPCC zurückbleiben.
Ein erschütterter Sozialstaat:
- Die katastrophalen Folgen der Sparmaßnahmen materialisierten sich in Gesundheitssystemen, die von der Pandemie überrollt wurden, und in sozialen Sicherheitsnetzen, die von der Krise überfordert waren.
- Der Wettlauf um das Steuerdumping hat zu zahlreichen Steuerfluchtskandalen und einer Nivellierung der Steuern nach unten geführt, was der Rückkehr der Politik zur Besteuerung der Reichsten und multinationaler Unternehmen in einigen angelsächsischen Ländern und dem internationalen Willen zur Mindestbesteuerung von Unternehmen widerspricht.
- Der Wettbewerb zwischen Arbeitnehmern in der Europäischen Union hat zu Auslagerungen von Produktionsstandorten und Lohnsenkungen geführt und diente als Grundlage für zahlreiche Angriffe auf wertvolle soziale Errungenschaften in ganz Europa.
Das EU-Recht wird der Umsetzung der erträumten „Gemeinsamen Zukunft“ (L’Avenir en commun) noch die eine oder andere Blockade vorbehalten
Unser Versprechen lautet: das Programm, dem die französischen Bürger und Bürgerinnen im Falle eines Sieges bei den Präsidentschaftswahlen ihre Zustimmung gegeben haben, von A bis Z auch tatsächlich umzusetzen. Dies bedeutet, dass man sich mit den europäischen Institutionen auseinandersetzen muss, da die Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen im Widerspruch zum europäischen Recht (Verträge, Richtlinien oder Verordnungen) stehen wird. Unsere Europa-Strategie wird auf einer sorgfältigen Analyse dieser Blockaden begründet sein.
Wir haben daher das Programm von L’Avenir en commun nach europäischem Recht durchleuchtet und die wichtigsten Unvereinbarkeiten ermittelt:
- Die Freihandelsabkommen stehen im Gegensatz zum ökologischen Protektionismus.
- Der freie, unverzerrte Wettbewerb verhindert die Bildung öffentlicher Cluster und die Ausgliederung von Gemeingütern aus dem Gemeinsamen Markt: Das EU-Recht verbietet beispielsweise die Wiederverstaatlichung des Güterverkehrs oder von Staudämmen oder die Bevorzugung lokaler und biologischer Produktion bei Ausschreibungen.
- Das Haushaltskorsett und vor allem seine grundlegende 3%-Defizit-Regel zwingt uns zu Sparmaßnahmen und verringert unsere Möglichkeiten, in die ökologische und soziale Wende zu investieren.
- Der freie Kapitalverkehr hindert uns daran, die Macht über den Finanzsektor zurückzugewinnen.
- Die Gemeinsame Agrarpolitik fördert ein Modell, das im Gegensatz zu einer kleinbäuerlichen, umwelt- und tierschutzgerechten Landwirtschaft steht.
- Die fehlende soziale Kohärenz sowie die Richtlinie für Wanderarbeiter setzen Arbeitnehmer zueinander in Konkurrenz und widersprechen dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
- Die fehlende Harmonisierung im Steuerbereich bewahrt den europäischen Steuerparadiesen Straffreiheit und bedroht stattdessen unsere Steuererträge und die Bereitschaft, überhaupt Steuern zu zahlen.
- Die Europäische Verteidigungspolitik verstrickt uns in die kriegerischen Bestrebungen der NATO.
- Der Status der Europäischen Zentralbank (EZB) zwingt uns, die Beschaffung staatlicher Finanzmittel in die Hände der Finanzmärkte zu geben.
Die Umsetzung eines ehrgeizigen Umweltprogramms ist durchaus mit den aktuellen EU-Regelungen unvereinbar.
Die Europäische Union spricht gerne von ihren großen Ambitionen in Sachen Klimaschutz. Dennoch werden viele Maßnahmen, die angesichts der ökologischen Notlage notwendig sind und vom Bürgerkonvent für das Klima befürwortet worden waren, durch die europäische Besessenheit von Liberalisierung und Wettbewerb unmöglich gemacht.
Wie will man den nachhaltigen Verkehr fördern, wenn die öffentlichen Verkehrsnetze immer weiter eingeschränkt, privatisiert oder zur Kommerzialisierung freigegeben werden, um den europäischen Wettbewerbsanforderungen gerecht zu werden? Somit verliert auch der einzelne Staat seine Fähigkeit, sein öffentliches Verkehrsnetz zu entwickeln.
Wie will man den Konsum auf 100 % erneuerbare Energien umstellen und gleichzeitig die Stromrechnungen der Arbeiterklasse senken? Durch die Privatisierungen und Liberalisierungen von EDF und Engie (ehemals GDF) haben wir die Kontrolle über unsere Energiesouveränität verloren, und der Wettbewerb zwischen den Energieversorgern hat zu Preissteigerungen von mindestens 60 % geführt. Der von der EU angestrebte und von Emmanuel Macron befürwortete europäische Energiemarkt forciert Spekulationslogiken, die uns daran hindern, eine authentische Energiepolitik zu betreiben, die sowohl das Klima als auch unsere Bürger:innen schützt.
Wie will man auf Bio-Kantinen, Nahversorgung und ökologisches Wohnen umsteigen? Heute werden öffentliche Ausschreibungen europaweit ausgeschrieben, sodass es immer weniger möglich ist, Umweltkriterien über den Preis zu stellen. Dies führt dazu, dass umweltbelastenden Unternehmen und Produkten, die vom entgegengesetzten Ende der Europäischen Union kommen, der Vorzug gegeben wird.
Wie will man den Mehrwertsteuersatz nach der Länge des Transportweges importierter Produkte staffeln, wenn ihn die Europäische Union im Namen des freien und unverzerrten Wettbewerbs ablehnt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede ernsthafte Umweltpolitik diese Blockaden ernst nehmen muss, um eine Strategie zu ihrer Umgehung entwickeln zu können: Denn wer die derzeitigen EU-Regelungen buchstabengetreu befolgt, ist in Sachen Klimaschutz und Biodiversität zur Ohnmacht verurteilt.
Unsere Strategie zur Umgehung der europäischen Blockaden lautet wie folgt:
Auf Grundlage der festgestellten Unvereinbarkeiten unseres Programms mit dem europäischen Recht ist es das Ziel unserer Europa-Strategie, eine Blockade nach der anderen durch Regierungsentscheidungen unter Achtung des Volkswillens zu neutralisieren.
Wir schlagen den EU-Mitgliedsstaaten und ihren Völkern einen einvernehmlichen Bruch mit den derzeitigen europäischen Abkommen vor (Plan A).
Dies wird durch die Aushandlung neuer europäischer Rechtstexte geschehen, die mit den dringlichen klimatischen und sozialen Bedürfnissen vereinbar sind und dem französischen Volk in einem Referendum zur Zustimmung vorgelegt werden. Wir schlagen unter anderem Folgendes vor:
- die Wiedererlangung der Haushaltshoheit auf Staatsebene
- eine Satzungsänderung der Europäischen Zentralbank
- die Einführung von Regelungen zur Herstellung einer sozialen und ökologischen Einheit innerhalb der Europäischen Union
- die Einführung eines Umweltprotektionismus
- die Schaffung einer rechtlichen Möglichkeit, dass Staaten bestimmte Unternehmen unterstützen oder öffentliche Monopole in strategischen Branchen einrichten können
- die Erhebung des Rechts auf Wasser zum Grundrecht für alle Europäer:innen
Wir werden in jedem Fall sofort unser Programm auf nationaler Ebene umsetzen und uns der Konfrontation mit den EU-Institutionen stellen (Plan B).
- Wir werden alle uns verfügbaren Hebel in Bewegung setzen, um unsere Position im Europarat durchzusetzen.
- Wir werden Blockaden überwinden, wo immer dies notwendig ist.
Diese beiden Strategien sind komplementär: Nur wenn wir als Vorkämpfer auftreten, können wir auch die anderen europäischen Völker mitreißen!
Unsere Logik ist ganz einfach. Solange keine Einigung zur Änderung eines Abkommens erzielt ist, setzen wir unsere Gespräche mit unseren Partnern fort und ignorieren gleichzeitig etwaige Blockaden. Im Falle einer Einigung wird diese systematisch einem Referendum unterzogen.
Unterstützen Sie uns auf dem Weg zu einem Europa im Dienste seiner Völker!
Mit unseren Verbündeten unter den Linken im Europäischen Parlament verfolgen wir überall in Europa in einem gemeinsamen Kampf eine gemeinsame Vision. Die folgenden zehn Prioritäten geben einen kohärenten politischen Kurs vor, um sowohl die Ziele als auch die Arbeitsweise der Europäischen Union grundlegend zu reformieren. Sie beinhalten insbesondere Bestimmungen, die eine Abänderung diverser Abkommen erfordern, die wir auf dem großen EU-Gipfel, den wir umgehend nach unserem Amtsantritt im Rahmen der französischen EU-Ratspräsidentschaft abhalten werden, auf den Verhandlungstisch bringen werden.
Unsere zehn Prioritäten für ein gemeinsames Europa:
Die Erhebung des Kampfes für den Klimaschutz, den Erhalt der Artenvielfalt und die Abschaffung sozialer Ungleichheiten zu einer Priorität: die Verankerung der sozialen Gerechtigkeit und der Achtung der Grenzen unserer Umwelt als zentrale Werte der Europäischen Union (mit einem Ziel von einer mindestens 65%igen Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030), die Schaffung neuer, dauerhafter und gerechter Eigenmittel zur Finanzierung von Investitionen von allgemeinem Interesse und das Stellen der Gemeinsamen Agrarpolitik in den Dienst eines kleinbäuerlichen und lebensfreundlichen Landwirtschaftsmodells.
Beendigung der Austeritätspolitik in Europa: Aufhebung der Sparhaushaltsregeln (3%-Defizit-Regel und 60%-Schuldenquote), Ermächtigung der EZB, den Staaten direkt Kredite zu gewähren sowie das Privileg, ausschließlich nachhaltige Aktivitäten zu finanzieren und der Erlass sämtlicher pandemiebedingter Schulden, damit die einzelnen Staaten massiv in die ökologische und soziale Wende investieren können.
Ausweitung sozialer Rechte: Beendigung der Ungleichbehandlung von Wanderarbeiter:innen, Gewährleistung eines europäischen Grundstocks an sozialen Rechten und Schaffung eines Rahmens für europäische Mindestlöhne, um das Lohn-Dumping zu bekämpfen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern sowie die Durchsetzung einer Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, um die Uber-isierung der Arbeitswelt über die betrügerische Nutzung des Status der Selbstständigkeit zu verhindern.
Ausrottung der Steuerflucht: Gewährleistung einer vollständigen Steuertransparenz für multinationale Unternehmen, Einführung eines Mindeststeuersatzes für Unternehmen und Einführung von Sanktionen gegen europäische Steuerparadiese und Steuerflüchtende, um den Steuerwettbewerb innerhalb der EU zu unterbinden.
Ausstieg aus der Gemeinsamen Marktwirtschaft: Überarbeitung des europäischen Wettbewerbsrechts, um die Entwicklung öffentlicher Cluster zu ermöglichen, die für alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zuständig sind, Gewährleistung des Schutzes von Gemeingütern, indem diese aus dem Wettbewerb herausgenommen werden sowie Ermöglichung der Bevorzugung der Sozial- und Solidarwirtschaft bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.
Einführung eines Sozial- sowie Umweltprotektionismus: Übergang von einer Freihandelslogik zu einem solidarischen Protektionismus, der die Pariser Abkommen, die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation und das Völkerrecht respektiert, Ablehnung aller neuen Abkommen, die diese Grundsätze nicht respektieren, und Einführung sozialer und ökologischer Zölle an den europäischen Grenzen, um unsere Industrie, die Arbeitnehmenden und die Umwelt vor internationalem Dumping zu schützen.
Menschen mit Migrationshintergrund würdig empfangen: Beendigung der Dublin-Verordnungen, um eine Koordination ihrer Aufnahme zwischen den Mitgliedstaaten zu bewerkstelligen, Gewährleistung der Achtung der Rechte von Exilanten und der internationalen Verpflichtungen bei Asylangelegenheiten, Beendigung der Grenzmilitarisierung, die durch die Agentur Frontex gewährleistet wird, sowie der Aufbau eines Seenotrettungskorps.
Eintritt für den Frieden: Nein zu einer an die NATO angelehnten Europäischen Verteidigungspolitik, um nicht länger Teil einer US-Strategie zur Eskalation von Spannungen rund um den Globus zu sein, Verteidigung eines multilateralen Rahmens der UNO, Unterstützung und Verteidigung des Abkommens über die Nichtverbreitung von Atomwaffen, Stopp von Waffenexporten an autoritäre Regime sowie die Förderung eines diplomatischen Dialogs auf regionaler und internationaler Ebene.
Erreichung der Gleichstellung: Anwendung der europäischen Meistbegünstigungsklausel zur Harmonisierung der Frauenrechte in Europa von oben, Aufnahme des Rechts auf Abtreibung und aller anderen sexuellen und fortpflanzungsbezogener Rechte in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und erfolgreicher Abschluss des Projekts einer umfassenden und allgemeingültigen EU-Richtlinie gegen jegliche Diskriminierung zur Bekämpfung aller Formen von Rassismus und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Behinderung, sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität.
Stärkung der Demokratie: Aussetzung der EU-Finanzierung für Mitgliedstaaten, die weder die Rechtsstaatlichkeit noch die Grundfreiheiten achten, bessere Einbindung der nationalen Abgeordneten in die europäische Entscheidungsfindung, strenge Rahmenbedingungen für Lobbys, Stärkung der Rolle der Europaabgeordneten durch Einführung eines Antragrechts des Europäischen Parlaments und Überarbeitung der Machtverteilung zwischen den EU-Institutionen, um diese demokratischer und transparenter zu gestalten, sowie Einführung neuer Formen der Beteiligung wie einer verbindlichen Europäischen Bürgerinitiative (ein europäisches ICR) und eines ständigen Bürgerberatungsgremiums.
Der notwendigen Konfrontation mit den EU-Institutionen begegnen – mittels Widerstand und der Ausübung von Macht
Wir nehmen es in Kauf, den Brüsseler Apparat zu destabilisieren, um mit ihm auf Konfrontationskurs zu gehen. Seit 60 Jahren ist die Europäische Union kein starres Konstrukt mehr: Sie ist vielmehr ein politischer Raum, der auf Machtverhältnissen und Kooperationen mit variabler Geometrie beruht. Sie wurde vor dem Hintergrund von Krisen unterschiedlicher Art und Machtspielereien zwischen Staaten aufgebaut und weiterentwickelt. Wir werden dieses Mal das gesamte Gewicht Frankreichs nutzen, um unser Programm durchzusetzen. Die Konfliktträchtigkeit gehört zur europäischen Entscheidungsfindung und unsere Gegner scheuen sich nicht, sie zu nutzen.
Diese Konfrontationsstrategie beruht auf zwei Säulen, die parallel zueinander eingesetzt werden müssen: das Kräftemessen im Europarat und der Widerstand gegenüber Regelungen, die die Umsetzung unseres Programms blockieren könnten.
Macht demonstrieren
Frankreich ist alles andere als machtlos, im Gegenteil, wir werden alle unsere Hebel in Bewegung setzen, um im Europarat das Sagen zu übernehmen:
- Wir werden unser Vetorecht nutzen, um z. B. neue Freihandelsabkommen und Erweiterungen ohne vorherige soziale, steuerliche und ökologische Angleichung abzulehnen. Diese Entscheidungen können nicht ohne die Zustimmung Frankreichs getroffen werden. Wir dürfen nur nicht lockerlassen!
- Beschränkung des überschüssigen Teils des französischen Beitrags zum EU-Haushalt (der 2021 28,8 Milliarden Euro oder 18 % des Gesamtbeitrags aller Mitgliedstaaten betrug). Frankreich zahlt mehr in den Haushalt der Europäischen Union ein, als es erhält: Dies ist ein entscheidender Punkt, wenn es um die Machtverteilung geht!
- Aufbau neuer, tiefreichenderer Kooperationen mit jenen Mitgliedsstaaten, die dies wünschen, und das in sozialen, ökologischen, kulturellen, bildungspolitischen, wissenschaftlichen und anderen Bereichen (ähnlich Programmen wie Erasmus oder Industriepartnerschaften wie z. B. Airbus).
- Auslösung der Bürgermobilisierung zusammen mit unseren politischen Verbündeten und der Zivilgesellschaft in Europa, um die Legitimität unserer Standpunkte zu bekräftigen (insbesondere aufbauend auf den Auswirkungen des Klimawandels und Petitionen im Zusammenhang mit den Europäischen Bürgerinitiativen).
Zu diesen wichtigen Instrumenten zählen weitere punktuell nutzbare Instrumente hinzu, mit denen der Druck auf die EU-Institutionen aufrechterhalten werden kann wie der Rückgriff auf Sperrminderheiten bei Gesetzestexten, eine konstruktive Stimmenthaltung, der Boykott von Gremien oder Sitzungen allein oder zu mehreren beziehungsweise die Verweigerung der Bestätigung von Ernennungen in bestimmte Schlüsselpositionen.
Unsere Gegner sind keine unbeschriebenen Blätter und nehmen Konflikte in Kauf, um ihre Ziele zu erreichen!
Die liberalen, rechten oder rechtsextremen Regierungen in Europa sind die ersten, die mit der EU auf Konfrontationskurs gehen, wenn sie mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind. Sie können sogar auf Erpressung zurückgreifen, um zu bekommen, was sie wollen, andere zum Nachgeben zu zwingen oder eine Veränderung zu blockieren, die sie ablehnen.
- De Gaulle hatte einst auf die Politik des leeren Stuhls zurückgegriffen, um das Prinzip der einstimmigen Abstimmung für die wichtigsten Entscheidungen zu würdigen und auf diese Weise den „Luxemburger Kompromiss“ zu erzielen.
- Seit Thatchers „I want my money back“ haben die britischen Konservativen durch diplomatische Schachzüge mehrere Ausnahmeregelungen (Rabatte, Arbeitszeiten, polizeiliche Zusammenarbeit usw.) erwirkt.
- Die Niederlande, Dänemark, Schweden, Österreich und Deutschland drohten, das europäische Konjunkturprogramm zu blockieren, um ihre Rabatte (insgesamt 7,6 Milliarden Euro pro Jahr) auf ihre Beiträge zum EU-Haushalt zu bewahren oder gar zu erhöhen.
- Polen und Ungarn taten dasselbe, um das Kriterium der Rechtsstaatlichkeit, das an den Erhalt von EU-Fördermitteln geknüpft ist, zu untergraben.
- Das Großbritannien, Polen, Ungarn, die Slowakei beziehungsweise die Tschechische Republik führten eine Koalition an, um die Annahme einer überarbeiteten Version der Richtlinie für Wanderarbeiter durch eine Sperrminorität im Europarat zu verhindern.
- Europäische Steuerparadiese, darunter Irland, Luxemburg und Malta, blockieren seit Jahren die geplante Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa, indem sie mit ihrem Vetorecht drohen.
Allein oder mit anderen gemeinsam handeln?
Wir werden stets Gruppeninitiativen den Vorzug geben. Frankreich kann zum Beispiel die südeuropäische Allianz mobilisieren, die sich im EuroMed 7-Club (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern und Malta) zusammengeschlossen habt, der gegründet wurde, um der Liga der „Sparerstaaten“ entgegenzutreten, die die ausgesetzten Sparregeln so schnell wie möglich wieder einführen und überall sogar noch weiter verschärfen wollen.
Wir sind aber auch bereit, notfalls allein zu handeln. Frankreich nimmt als zweitgrößte Volkswirtschaft Europas ein besonderes wirtschaftliches, aber auch demografisches, diplomatisches und historisches Gewicht innerhalb der Europäischen Union ein: Es ist an der Zeit, genau dieses zu mobilisieren, um die notwendige ökologische und soziale Wende in Gang zu setzen! Dabei werden wir immer dieselbe Linie verfolgen, indem wir die demokratische Entscheidung unserer Wähler:innen respektieren, um unser Programm umzusetzen.
Auf diese Weise können wir uns sowohl auf nationaler Ebene Handlungsspielräume schaffen als auch auf europäischer Ebene kollektive Veränderungen auslösen. Das macht Frankreich nicht zum Außenseiter. Im Gegenteil, dies bringt Frankreich auf diplomatischer Ebene für Europa wieder ins Spiel.
Die Europäische Union ist seit ihrer Gründung kein stilles Wasser.
Die Europäische Union folgt nicht dem „Friss oder stirb“-Prinzip, sondern bietet variable Handlungsspielräume, sofern man sich die Mittel verschafft, diese auch entsprechend zu nutzen. Dies ist nichts anderes als ein Beweis dafür, dass es für einige Staaten möglich ist, die europäischen Regelungen an den nationalen Volkswillen anzupassen.
- Irland lehnte es ab, dem Schengen-Raum anzugehören. Umgekehrt gehören wiederum auch Nicht-EU-Staaten wie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz dazu.
- Dänemark und Schweden weigerten sich, den Euro einzuführen. Und Dänemark nimmt nicht an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik teil.
- Angesichts der allgemeinen Blockaden haben sich einige Staaten dafür entschieden, untereinander zu verhandeln und enger zusammenzuarbeiten: So arbeitet beispielsweise eine Koalition aus elf Staaten an einer Finanztransaktionssteuer. 14 Staaten beschlossen, gemeinsam einen Text über internationale Ehetrennungen zu verabschieden, um das Veto Schwedens zu umgehen.
- Umgekehrt gibt es Kooperationsbeziehungen, die über den Rahmen der 27 Mitgliedsstaaten hinausgehen, insbesondere im industriellen Bereich für z. B. Airbus und MBDA oder im Rahmen diplomatischer Partnerschaften wie dem Europarat und die Union für den Mittelmeerraum. Angesichts der Krise von 2008 änderte die Europäische Union den Vertrag von Lissabon in nur einem Abend und schuf neben dem EU-Recht zwischenstaatliche Finanzregelungen, um einen kaskadenartigen Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern.
Frankreich kann die Unterzeichnung neuer Freihandelsabkommen blockieren!
Obwohl immer wieder große Reden zu „Relokalisierung“ und „europäischem Protektionismus“ geschwungen werden, beharrt die Europäische Kommission mehr denn je auf dem Freihandel. Das bedeutet, dass aktuell Handelsabkommen mit 77 Ländern bestehen, die Beschlussfassung 24 neuer unmittelbar bevorsteht und sich 5 weitere bereits in Verhandlung befinden!
Dies ist jedoch sowohl in ökologischer Hinsicht (der große Umzug der Welt geht weiter) als auch in Bezug auf die Menschenrechte (denken wir an das Sozialdumping und die Ausbeutung von Arbeitern unter katastrophalen Bedingungen) ein kompletter Wahnsinn. Der Widerstand gegen Freihandelsabkommen wächst im Übrigen wohin man auch blicken mag. Über 2 000 europäische Körperschaften haben erklärt, dass sie sich nicht am Transatlantischen Freihandelsabkommen oder Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada, kurz CETA, beteiligen. Über 3 Millionen Menschen aus 14 Ländern haben die Europäische Bürgerinitiative gegen diese Abkommen unterzeichnet.
Unser Versprechen ist damit klar: Solange wir an der Macht sind, wird kein neues Freihandelsabkommen mehr in Kraft treten, das den Planeten und die Menschenrechte vernichtet. Und das ist auch gut so, denn nichts ist unmöglich!
Seit Wallonien 2016 erfolgreich das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada verhindert hat, unterscheidet die Europäische Kommission zwischen „unilateralen“ und „multilateralen“ Freihandelsabkommen (z. B. das Abkommen mit dem Vietnam).
- Bei den sogenannten „multilateralen Abkommen“ (die Mehrheit der Abkommen), die in Zuständigkeiten eingreifen, die gemäß den EU-Abkommen den Mitgliedstaaten vorbehalten sind, müssen die Staaten den Abschluss des Abkommens einstimmig genehmigen. Jede Nation verfügt also über ein Vetorecht und kann sich weigern, ein Abkommen zu ratifizieren! Dieses forderte der Klima-Bürgerkonvent von Emmanuel Macron für das CETA ein, was dieser jedoch ablehnte. Genau dies werden auch wir systematisch tun.
- Für (seltenere) „unilaterale“ Abkommen, die in die alleinige Zuständigkeit der Europäischen Union fallen, ist theoretisch eine qualifizierte Mehrheit erforderlich, um ein Abkommen abzulehnen, was mit Unterstützung der europäischen Zivilgesellschaft alles andere als unerreichbar ist!
In beiden Fällen werden wir somit über die notwendigen Mittel verfügen, um uns ihnen zu widersetzen. Was die bestehenden Abkommen betrifft, werden wir im Falle von Menschenrechts- oder Umweltverletzungen durch die Unterzeichnerstaaten die systematische Anwendung von Suspensionsklauseln fordern.
Wir werden uns dort widersetzen, wo es notwendig ist, um unser Programm durchzusetzen!
Sich zu widersetzen ist kein politisches Ziel an sich. Aber wir werden nicht zögern, dies zu tun, wann immer es nötig ist, und zu Beginn, wenn es sein muss, auch allein. Wir werden als Wegweiser für andere Mitgliedstaaten fungieren, um Ausnahmen für die Einen oder generelle Verbesserungen für alle 27 Mitgliedstaaten zu erwirken.
Widerstand kann sich in verschiedenen Formen äußern:
- die Beendigung einer unilateralen Anwendung von Normen, die mit unseren ökologischen und sozialen Überzeugungen unvereinbar sind, wie z. B. die EU-Richtlinien für Wanderarbeiter:innen, die EU-Haushaltsregeln, die EU-Wettbewerbsregeln oder der freie Kapitalverkehr in der Europäischen Union
- die Beendigung Frankreichs Beteiligung an bestimmten Programmen wie der der NATO untergeordneten EU-Verteidigungspolitik
- die Nutzung von Widersprüchen zwischen EU-Vorschriften und unserem internationalen Engagement in den Bereichen Klima oder Arbeit, um nur den höchsten Standards den Vorrang einzuräumen
- die Bekräftigung der Vorrangigkeit der in der Verfassung der 6. Republik verankerten Grundprinzipien gegenüber dem EU-Recht und die Einführung eines ökologischen und sozialen Rückschrittsverbots: Im Falle einer in sozialer oder ökologischer Hinsicht weniger anspruchsvolleren europäischen Norm hat die nationale Norm den Vorrang.
Frankreich hat das Recht, sich auf alleinigen Beschluss aus bestimmten Programmen zurückzuziehen.
Mehrere Länder durften ihre Opt-out-Option wahrnehmen und sich bestimmten EU-Maßnahmen enthalten. De facto wurden bestimmte Regelungen nie auf sie angewendet!
- Bei Vertragsunterzeichnung ausgehandelte Opt-outs: In Bereichen, in denen die Einstimmigkeit der Mitgliedsstaaten erforderlich ist, wurden Opt-outs ausgehandelt, um eine Pattsituation zu vermeiden. So hat beispielsweise Irland1 ein Opt-out für den Schengen-Raum erwirkt, oder Dänemark nicht an der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU teilnimmt beziehungsweise seine Landeswährung beibehielt.
- Nach Vertragsabschluss ausgehandelte Opt-outs: So hatte sich beispielsweise Schweden erst im Rahmen der Einführung des Euros verpflichtet, einem Leitkurs zu folgen, Idee, die nach einem Volksreferendum jedoch aufgegeben werden musste. Um nicht den gesamten Prozess zu blockieren, zogen es die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank vor, Schweden ein „de facto“-Opt-out zu gewähren.
Frankreich könnte sich auf seine alleinige Entscheidung hin aus Programmen zurückziehen, an denen es nicht teilnehmen möchte (wie z. B. die Europäische Verteidigungspolitik).
Widerstand muss sein und ist legal!
Einige europäische Regelungen stehen im Widerspruch zu internationalen Bestimmungen, zu deren Einhaltung sich Frankreich verpflichtet hat, beziehungsweise bestimmten auf nationaler Ebene getroffenen Bestimmungen. Von da an können wir uns jenen Regelungen widersetzen, wobei wir uns stets an das gleiche Prinzip halten: den anspruchsvollsten sozialen, ökologischen und demokratischen Rechten den Vorrang zu geben.
- Die europäischen Abkommen und das daraus abgeleitete EU-Recht sind nur eine der vielen internationalen Verpflichtungen, die Frankreich eingegangen ist: Es gibt keinen Grund, warum ihnen eine größere Bedeutung zukommen sollte als der Einhaltung internationaler Abkommen zum Sozial- oder zum Klimaschutz. Die französische Verfassung stellt mit ihrem Artikel 55 keine Hierarchie zwischen den internationalen und europäischen Pflichten auf. Deshalb können wir aufhören, die EU-Richtlinien für Wanderarbeiter anzuwenden, da diese gegen das Übereinkommen 97 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zur Wanderarbeit verstößt. Frankreich sich wird auch von den CO₂-Marktmechanismen abwenden, die mit der Einhaltung der Klimaziele des Pariser Abkommens unvereinbar sind.
- Darüber hinaus ist die Europäische Union in ihren Abkommen verpflichtet, die Verfassungsidentität ihrer Mitgliedstaaten zu respektieren. Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) besagt: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet“. In der Vergangenheit hat der Generalanwalt des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) den nationalen Behörden die Befugnis eingeräumt, nationale Besonderheiten zu definieren, die eine „Ungleichbehandlung“ rechtfertigen können.
In Deutschland zögerte das Amtsgericht Karlsruhe nicht, das EU-Recht unter Berufung auf das deutsche Grundgesetz infrage zu stellen. Seit 15 Jahren und erst kürzlich wieder bekräftigte der französische Verfassungsrat auch seine Befugnis, Europäische Rechtsverordnungen außer Kraft zu setzen, sofern diese gegen die Regeln und Grundsätze verstößt, die der französischen Verfassungsidentität innewohnen. Der Verfassungsrat hat dies selbst in einer Entscheidung vom 15. Oktober 2021 in Erinnerung gerufen, in der er sich auf die Verfassungsidentität beruft, um einer französischen Rechtsnorm Vorrang vor einer europäischen Norm einzuräumen, nämlich dem Verbot, die Ausübung der öffentlichen Gewalt an Privatpersonen zu delegieren. Die französische Regierung wird sich nicht scheuen, ebenso vorzugehen und sich auf die Präambel der Verfassung von 1946 zu berufen, um öffentliche Wirtschaftscluster zu bilden und Schlüsselsektoren wie die Energiewirtschaft aus der europäischen Logik des Wettbewerbs herauszulösen. In der noch heute gültigen Präambel von 1946 heißt es nämlich: „Jedes Gut, jedes Unternehmen, dessen Betrieb den Charakter einer nationalen öffentlichen Dienstleistung oder eines De-facto-Monopols hat oder erlangt, muss zum Eigentum der Öffentlichkeit werden“.
- Ebenso wichtig ist die Schaffung einer ökologischen und sozialen Rückschrittklausel in der 6. Republik, um zu verhindern, dass EU-Verordnungen die Rechte der französischen Bürger:innen schwächen. Die Einberufung einer Verfassungsversammlung, die eine Verfassung für die 6. Republik ausarbeiten soll, wird die Gelegenheit sein, die Beziehung des französischen Staates zu den europäischen Gemeinschaftsorganen neu zu definieren. Durch die Annahme einer neuen Verfassung wird das französische Volk die Möglichkeit haben, zu bekräftigen, dass für Frankreich der Schutz der Grundrechte, der sozialen Rechte und der Umwelt Vorrang vor dem Brüsseler Regelwerk hat, sofern dieses weniger streng ist.
Widerstand zieht andere in seinen Bann!
Durch Widerstand und Auflehnung können Präzedenzfälle geschaffen werden, die die EU-Institutionen dazu zwingen, Ausnahmeregelungen oder Sonderstati zu gewähren und diese Maßnahmen schließlich sogar auf alle Mitgliedstaaten auszuweiten.
- Deutschland weigerte sich, seine Trinkwasser– und Wasserversorgungsunternehmen dem allgemeinen Wettbewerb auszusetzen und erreichte so, dass der Trinkwassersektor im Rahmen einer bestimmten Richtlinie aus dem Wettbewerb herausgenommen wurde.
- Die europaweite Mobilisierung und der Widerstand mehrerer Mitgliedstaaten gegen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zwangen die Europäische Union, ihre diesbezügliche Richtlinie zu überarbeiten und den Staaten zu erlauben, den Anbau von GVO auf ihrem Territorium einzuschränken oder zu verbieten (während der Anbau auf dem Gebiet der Europäischen Union allgemein weiterhin erlaubt bleibt).
- So hat Frankreich beispielsweise die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff ab 2019 verboten, obwohl dieses von der EU zugelassen war. Im Jahr 2021 folgte die Europäische Union schließlich dem Entschluss Frankreichs und beschloss das Verbot von Titandioxid für den gesamteuropäischen Raum.
- Anstatt dem Wettbewerb den Vorzug zu geben, beschloss Frankreich 1981 im Rahmen seiner Kulturpolitik die Vereinheitlichung des Buchpreises. Eine Besonderheit, die später auch von anderen Ländern übernommen wurde und die EU-Institutionen dazu zwang, diesen Preiskontrollmechanismus zu legalisieren.
- Frankreich hat der Europäischen Union auch seinen Interventionismus im Kulturbereich auferlegt, mit u. a. einer Quotenregelung für die Ausstrahlung frankofoner Werkeoder Sondersteuern im Kulturbereich, um staatliche Beihilfen für die kulturelle Vielfalt auszahlen zu können. Eine Strategie, die 1993 auf europäischer Ebene mit der Schaffung eines Sonderstatus für europäische audiovisuelle Werke und Produktionen wieder aufgenommen wurde, um sie … vor dem Freihandel zu schützen!
Unsere Gegner haben nicht auf uns gewartet, um Widerstand zu leisten.
Widerstand ist in Frankreich ein Tabuwort, während er in vielen anderen Mitgliedstaaten insbesondere von unseren liberalen oder rechtsextremen Gegnern immer wieder zu politischen Zwecken eingesetzt wird.
Wenngleich oft auf Kosten der menschlichen, ökologischen oder sozialen Rechte …
- Polen und Ungarn stellen die Rechte von LGBTI-Personen und Exilanten in Abrede und greifen die Unabhängigkeit der Justiz an.
- Italien erfüllt nicht die europäischen Trinkwassernormen.
- Deutschland hat die europäischen Anforderungen an die Luftqualität nicht erfüllt.
- Ungarn hält sich nicht an die europäischen Vorschriften für die Aufbereitung von kommunalem Abwasser.
Und Macron hört genauso gern weg, wenn es ihm in den Kram passt! Und das, wenn es zum Beispiel um
- die europäischen Luftqualitätsnormen (und das trotz gerichtlicher Verurteilungen!) geht,
- die Arbeitszeitrichtlinie, die er auf das Militär nicht anwenden will,
- die Anforderungen des Datenschutzes, die er ignoriert, indem er die generelle Aufbewahrung von Zugangsdaten unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus beibehält,
- die Hauptuntersuchungspflicht bei Zweirädern, deren Umsatzerlass für, 2023 er vorübergehend aufhob,
- oder das Verbot bestimmter „wahlloser“ Jagdpraktiken wie die „Leimjagd“!
… Aber auch wenn es darum geht, sich nicht die wirtschaftliche Zwangsjacke anziehen zu müssen, die sie selbst geschaffen und hoch und heilig verteidigt haben!
Die Liberalen verteidigen auf Teufel komm raus jene absurden wirtschaftlichen Zwänge, die den Mitgliedstaaten vom Europäischen Semesters auferlegt wurden. Und davon insbesondere jene hochgelobte, willkürliche 3%-Defizit-Regelung, die eines Tages aus dem Ärmelloch gezogen wurde, ohne dass je jemand ihre wirtschaftliche Sinnhaftigkeit begründen konnte.
Internationaler Wettstreit, Sparmaßnahmen, staatliche Beihilfen: Viele dieser, wenngleich während der Gesundheitskrise aufs Eis gelegten Regelungen sind vor allem insofern gefährlich, als sie die Staaten am Handeln hindern. Viele liberale Regierungen gehorcten ihnen wenngleich schon lange nicht mehr!
- In 20 Jahren wurde die goldene 3%-Defizit-Regel nicht weniger als 171 Mal verletzt, davon 7 Mal von Deutschland, ohne dass Sanktionen verhängt wurden.
- Deutschland ließ sich stattdessen eine staatliche Beihilfe in Höhe von 200 Millionen Euro zur Modernisierung des Schienengüterverkehrs bewilligen, da diese „der Umwelt zugutekommt“ und „angemessen und notwendig“ sei, sowie eine Beihilfe in Höhe von 500 Millionen Euro zur Finanzierung der Energieeffizienz im Verkehrssektor.
- Die Niederlande und Deutschland haben jahrelang gegen die Bestimmungen verstoßen, die die Höhe des Handelsüberschusses (der auf Dauer nicht mehr als 6 % des BIP betragen sollte) regeln, um zu große Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Ländern zu vermeiden, ohne jemals dafür zahlen zu müssen.
- Während der sogenannten „Euro-Krise“ schlossen die europäischen Staaten über Nacht parallel zum EU-Vertrag einen zwischenstaatlichen Vertrag ab, um Rettungsaktionen für die Banken starten zu könen, indem man einer rechtlichen Blockade aus dem Weg gehen wollte.
Wir sind bereit, diese Strategie in die Tat umzusetzen!
Diese Strategie ist nicht nur glaubwürdig, sondern auch realistisch: Wir haben möglichen Reaktionen des Finanzsektors und der EU-Verwaltungsorgane vorgegriffen und sind nunmehr bereit, ihnen entgegenzutreten.
Den Finanzzwängen standhalten
Die Finanzsphäre steht nicht im Dienst der realen Wirtschaftswelt. Im Gegenteil, ihre Machenschaften sind zunehmend spekulativ, und das auch Mitgliedsstaaten gegenüber, wie es die Angriffe auf Griechenland 2008 und auf Italien oder Spanien 2020 gezeigt haben. Die Umsetzung eines politischen Programms, das den Interessen der Finanzwelt feindlich gesinnt ist und mit der europäischen Wirtschaftsstrategie bricht, kann zu Versuchen der Märkte oder Ratingagenturen führen, neue Machtkämpfe zu schaffen.
Wir wissen, wie wir unsere Finanzierungsmöglichkeiten bewahren können
Angesichts einer möglichen Gefährdung der Kreditaufnahmefähigkeit Frankreichs werden wir unilaterale Maßnahmen ergreifen, um uns weiterhin die notwendigen finanziellen Mittel zu sichern:
- Durchführung einer Volksbefragung zum Thema Staatsschulden und ihrer Kosten für die Gesellschaft: Ziel ist, den illegitimen Anteil unserer Schulden zu ermitteln, die Kosten der staatlichen Rettungspläne für die Banken und die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Gesellschaft und die Umwelt zu bewerten, die Kontrolle über unsere Schulden zu übernehmen und den Bankensektor allgemein wieder bewusst in die Hand zu nehmen.
- Kontrolle von Kapitalverkehr und Finanzwesen: Finanzakteure müssen strengen Vorschriften unterworfen werden, um spekulative Praktiken zu vermeiden, Kapitalströme besteuern und die finanzielle Stabilität Frankreichs schützen zu können, unter anderem durch die Zwangsbeschlagnahmung von Finanzinstituten, die die Sicherheit des Finanzsystems infrage stellen oder vorsätzlich gegen den Staat vorgehen.
- Schaffung eines öffentlichen Bankenpols: Die Universalbanken müssen zu einem öffentlichen Bankenpol vergesellschaftet werden, der die Realwirtschaft finanziert. Dieser öffentliche Pol kann zum vorrangigen Ankäufer von französischen Staatsschuldtiteln werden.
- Vergabe einer Banklizenz an die öffentliche Investitionsbank: Dies würde es ihr ermöglichen, von der Europäischen Zentralbank Geldmittel zu beziehen und einen zusätzlichen Kreditrahmen zu schaffen, um große Investitionen tätigen zu können, ohne dabei die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben.
- Schaffung eines neuen Finanzkreislaufs, indem wir die Banken dazu verpflichten, einen Teil der von ihnen eingehobenen privaten Ersparnisse in die Finanzierung des Staates fließen zu lassen.
Die Europäische Zentralbank sieht sich zunehmend gezwungen, angesichts der Marktentwicklung zugunsten der Mitgliedsstaaten zu agieren.
Wir haben ein solches Maß an Verflechtung unserer Volkswirtschaften erreicht, dass die Europäische Zentralbank (EZB) sich dabei wiederfindet, die Zinssätze der einzelnen Mitgliedsstaaten auf den Märkten verteidigen zu müssen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie die Verfassungen missachtet! Die Abkommen verbieten es der EZB grundsätzlich, Staaten Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Aufgrund einer Reihe von Krisen war die EZB jedoch dazu gezwungen, sich von diesem Grundsatz außer Acht zu lassen.
- Mit 2010 hat die EZB begonnen, Staatsschulden aufzukaufen, um eine neue Eurokrise zu verhindern.
- Im Jahr 2015 startete die EZB ein neues Programm zum Aufkauf sowohl öffentlicher als auch privater Schulden, um die Eurozone vor der Deflation zu retten. Der EZB gelangt es letztendlich jedoch nie, und das angesichts der drohenden Gefahr einer Destabilisierung der Eurozone, diesem Programm ein Ende zu setzen. Heute kauft die EZB Monat für Monat Staatsschulden im gar zweistelligen Milliardenbereich auf.
- Im Jahr 2020 war die EZB aufgrund der Pandemie gezwungen, in erster Linie die Schulden von jenen Staaten aufzukaufen, die am stärksten von der Gesundheitskrise betroffen waren, und davon insbesondere Italien, das zudem von Spekulanten unter Druck gesetzt wurde.
Auf Frankreich entfallen 20 % des BIPs der Eurozone. Spekulativer Angriffe auf die Staatsschulden Frankreichs wären wesentlich gefährlicher für die gesamte Eurozone als im Falle Griechenlands. Die EZB wird das Risiko eines solchen Zusammenbruchs der europäischen Finanzwirtschaft und des Untergangs des Euro nicht eingehen.
Den Retorsionsmaßnahmen der Europäischen Institutionen trotzen
Ein Nichtbefolgen des EU-Rechts geht außerdem mit dem theoretischen Risiko einher, dass die EU-Institutionen überwiegend finanzielle Sanktionen verhängen:
- Wenn ein Mitgliedstaat gegen ein EU-Einkommen verstößt (z. B. ein Staat eine Richtlinie nicht einhält), kann der Europäische Gerichtshof angerufen werden.
- Die Europäische Kommission kann einen Mitgliedstaat wegen der Nichteinhaltung des europäischen Wettbewerbsrechts zur Rechenschaft ziehen.
- Der Europarat kann einen Mitgliedstaat wegen Nichteinhaltung der europäischen Haushaltsregeln sanktionieren (wenngleich nur auf einen einstimmigen Beschluss hin).
Seltene, verspätete, anfechtbare und feilschbare Sanktionen
Die Sanktionsbereitschaft unterliegt in erster Linie politischer Machtverhältnisse und bleibt oft nur Theorie. Leider!
- Die Verfahren dauern Jahre, beziehen sich oftmals auf Einzelfälle anstatt das Prinzip als solches infrage zu stellen und können in Form eines Berufungsverfahrens angefochten werden. Die Mitgliedstaaten können den Prozess hinauszögern, wie Italien, das 2008 wegen illegaler staatlicher Beihilfen verurteilt wurde und diese bis heute nicht zurückgezahlt hat.
- Die für die Nichteinhaltung der Haushaltsregeln vorgesehenen Sanktionen wurden kurzerhand nie angewandt. Zwischen 1999 und 2018 wurde die 3-%-Regel nicht weniger als 171 Mal verletzt – ohne dass je eine Sanktion verhängt wurde.
- Haushaltssanktionen werden lediglich als Druckmittel eingesetzt, um Regierungen zum Einlenken zu bewegen, aber die Kommission geht nicht ans Äußerste, um keine politische Krise auszulösen: Dies zeigt sich an der Pattsituation, die durch die Ablehnung des italienischen Staatshaushalts 2019 durch die Europäische Kommission ausgelöst wurde und die mit Scheinanpassungen seitens Italiens und einem Verzicht seitens der EU-Kommission auf Sanktionen endete. Ein solches Kräftemessen mit Staaten wie Frankreich oder Deutschland ist nur schwer vorstellbar, zumal sie bereits mehrfach gegen die Haushaltsregeln verstoßen haben, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen gehabt hätte.
Ganz einfach weil auch wir über Druckmittel verfügen.
Deshalb sind mehrere massive Sanktionen gleichzeitig gegen Frankreich als unwahrscheinlich zu betrachten. Die Logik dieses Machtkampfes und Widerstands besteht darin, Ausnahmestati zu erwirken.
Sollten die EU wenngleich tatsächlich Sanktionen gegen Frankreich verhängen, haben wir auf jeden Fall die notwendigen Druckmittel, um ihnen Stirn zu bieten.
- Der französische Staat ist der zweitgrößte Nettobeitragszahler zum EU-Haushalt (2018 zahlte er 7 Milliarden mehr ein als es erhielt): Wir könnten auf die Sanktionen reagieren, indem wir den Betrag der Geldstrafe von unserem EU-Mitgliedsbeitrag einbehalten, um die Auswirkungen der Sanktionen zu kompensieren.
- Weder der EuGH noch die Kommission sind befugt, etwaige Geldbußen, die gegen Frankreich verhängt werden, einzutreiben; ihre Zahlung hängt allein von unserem guten Willen ab.
- Die EU-Kommission hat ihre angekündigten Sanktionsprozesse gegen die autoritären Regime in Polen und Ungarn nie zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht: Wie könnte sie es rechtfertigen, nichts gegen diese extremen Rechtsverstöße zu unternehmen, die gegen den Rechtsstaat gehen, aber eine moderne Linke anzugreifen, die sich aufgrund bester Absichten in den Bereichen Ökologie und Sozialem allgemeiner Entscheidungen widersetzt?
- Die Europäischen Institutionen haben keine Möglichkeit, uns zum Austritt aus der Europäischen Union zu zwingen. Es sind die EU-Abkommen selbst, die sie daran hindern. Es gibt keine gesetzlichen Regelungen zum Ausschluss eines Staates aus der Eurozone oder der Europäischen Union, was einen wichtigen Punkt in der Verteilung des Kräfteverhältnisses ausmacht.
SCHLUSSFOLGERUNG: Unser Plan ist glaubwürdig und ernst zu nehmen!
Unsere Strategie sieht einen seriösen und glaubwürdigen Plan vor, um die Hindernisse zu umgehen, die die aktuellen EU-Vorschriften für die Umsetzung unseres Programms darstellen. Sie ist unser Garant für Glaubwürdigkeit und Vertrauen: Mit uns gibt es keine bösen Überraschungen oder einen neuen Schlag wie den von Le Bourget, bei dem die Finanzwelt zum Feind auserkoren wird, bevor man sich erneut ihr beugt. Wir sagen klar, was wir vorhaben und wie wir unsere Vorhaben letztendlich umzusetzen gedenken.
Dies steht im Gegensatz zu den konventionellen Reden über Europa, die wir in Frankreich in wohl allen Wahlkämpfen hören. Machen wir Schluss mit dem Unsinn über ein Europa, das unserem Schutz dient, wenn die Europäische Union die Demontage unseres Produktionsapparats, die Zerstörung unserer öffentlichen Dienstleistungen, die Zerschlagung unserer ökologischen Planungsinstrumente und die Aushöhlung unseres Sozialmodells organisiert. Es reicht mit den leeren Versprechungen und dem Fehlen einer glaubwürdigen Strategie zu der sei 40 Jahren versprochenen Umsetzung eines sozialen Europas. Vorbei mit dem fehlenden Mut der politischen Entscheidungsträger; die nicht in der Lage sind, Frankreich in den europäischen Machtverhältnissen nicht ausreichend Gewicht zukommen zu lassen.
Wir setzen auf die Entschlossenheit und die kollektive Mobilisierung des Volkes, um Frankreich und Europa eine andere Art Zukunft zu sichern. Denn wie Saint-Just schon sagte: Das Glück ist ein neuer Gedanke in Europa!
„DIE EUROPÄISCHEN BLOCKADEN IN DER PRAXIS ÜBERWINDEN: 5 FALLBEISPIELE“
Um universelle öffentliche Dienstleistungen von hoher Qualität in Bürgernähe wieder aufzubauen, gilt es erstmal die Sparmaßnahmen des Europäischen Semesters abzulehnen.
Innerhalb von 20 Jahren wurden unsere öffentlichen Dienste, die immerhin eine Säule des französischen Sozialstaats ausmachen, auf das Minimum abgebaut. Die Pandemie zeigte uns das Ausmaß jener Katastrophe im Gesundheitssystem, wo es vehement an Arbeitskräften und Material mangelte. Doch ist die Lage in allen öffentlichen Diensten die gleiche. Die Schülerzahlen in den Klassen explodieren aufgrund von Lehrermangel, die Unterrichtsräume in den Schulen veralten genauso das Unterrichtsmaterial. Zugverbindungen für Pendler werden vom Fahrplan genommen, Schalter und Bahnhöfe geschlossen. Postbüros verschwinden. Die Fahrt zur nächstgelegenen Familienbeihilfestelle (CAF) dauert Stunden. Gerichtsverfahren sind mit immer längeren Wartefristen verbunden.
Die Lage, in der sich unsere öffentlichen Dienste heute befinden, kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist auf eine ultra-austeritäre Wirtschaftspolitik zurückzuführen, die von der Europäischen Union und ihrem Kontrollinstrument der nationalen Haushalte, dem Europäischen Semester, vorangetrieben wird und den französischen Staatspräsidenten in Folge – Sarkozy, Hollande und Macron – befürwortet wurde beziehungsweise wird. Die Staatsverschuldung ist ein wenig zu hoch? Dann muss das Budget der öffentlichen Krankenhäuser gekürzt oder besser gesagt „unter Kontrolle“ gebracht werden. Das Staatsdefizit ist ein wenig zu hoch? Dann muss im Budget der öffentlichen Bahn SNCF „gespart“ werden. Und sollte sich ein Staat weigern, dann muss er mit finanziellen Sanktionen rechnen. So steht es auf jeden Fall auf dem Papier. Seit der Einführung dieses Mechanismus im Jahr 2011 wurden die europäischen Haushaltsregeln nicht weniger als 171 Mal verletzt, ohne dass Sanktionen verhängt wurden.
Wir sind bereit, über neue volkswirtschaftliche Regeln zu diskutieren, die mit der Finanzierung des Sozialstaats und der ökologischen Bifurkation vereinbar sind. In der Zwischenzeit werden wir uns jedoch weigern, uns den Empfehlungen der Kommission seitens des Europäischen Semesters und wirtschaftlichen Dogmen ohne demokratische Grundlage zu beugen. Wir werden unsere Absicht ankündigen, die absurden Regeln, die unser Staatsdefizit und unsere Staatsverschuldung in die Höhe treiben, nicht mehr einzuhalten, indem wir uns notfalls auf andere Verpflichtungen berufen, die uns zwingen, z. B. in den Klimaschutz zu investieren, wie das Pariser Abkommen und das Europäische Klimagesetz. Und sollten uns finanzielle Sanktionen auferlegt werden, werden wir diese kurzerhand von unseren Beitragszahlungen zum EU-Haushalt abziehen.
Wir wollen allen Zugang zu bezahlbarer und nachhaltiger Energie garantieren können und dazu schlimmstenfalls Wettbewerbsregeln missachten.
Seit der Öffnung für den Wettbewerb sind die Strompreise in Frankreich um mindestens 60 % gestiegen, und mit ihnen die Energiesorgen: Immer mehr Haushalte haben Schwierigkeiten, ihre Stromrechnungen zu bezahlen, heizen deshalb weniger und frieren aus Angst, dass man ihnen am Ende einfach den Strom abstellt.
Diese unzumutbare Situation ist das Ergebnis einer weiteren Marotte der Europäischen Union: der Öffnung des Energiesektors der Konkurrenz. Bereits 1999 begann die Europäische Union mit dem Aufbau eines großen Energiebinnenmarktes und versprach, dass dieser die Preise senken würde. Selbstverständlich wurde dieses Versprechen nie erfüllt. Stattdessen wurde das Energiemanagement privaten Akteuren überlassen, die mehr auf Rentabilität und Profit als auf Preisstabilität bedacht waren, und entgegen die öffentlichen Akteure arbeiteten.
Angesichts einer erneuten Explosion der Gas- und Strompreise im Jahr 2021 haben Staaten wie Spanien und Italien unverzüglich Maßnahmen zur Preiskontrolle ergriffen, selbst auf die Gefahr hin, gegen die europäischen Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Angesichts des Ausmaßes der Krise und der Reaktionen der einzelnen Staaten sah sich die Europäische Kommission gezwungen, diese Maßnahmen zu akzeptieren und zu genehmigen, wenngleich nur auf zeitlich begrenzter Basis.
Die Europäische Kommission stellt also den Energiebinnenmarkt nicht infrage, obwohl dieser wohl oder übel der Kern des Problems darstellt: Energie ist ein Allgemeingut, das nicht gehandelt werden darf. Wir schlagen vor, diesen Sektor zu erneut zu verstaatlichen und den durch die Öffnung der Konkurrenz komplett zusammengebrochenen öffentlichen Energiepol wieder aufzubauen. Dies wird zwar einen Bruch des europäischen Wettbewerbsrechts erfordern, aber der einzige Weg zur vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energie, zu einer wiedergewonnenen Preisstabilität und einer Versorgungssicherheit für alle – einschließlich der am meisten gefährdeten Haushalte – sein.
Neuausrichtung des Empfangs von GAP-Fonds auf die Bereitstellung gesunder und nachhaltiger Lebensmittel
Die Agrarpolitik der EU bestimmt die europäische Nahrungsmittelwirtschaft und darf sich einer katastrophalen Bilanz mit unzufriedenen Landwirte, einer mit weiter sinkenden Anzahl an Landwirten, dem Klimawandel, einem Zusammenbruch der Artenvielfalt, einer zunehmenden Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung sowie immer noch jeder Menge an Tierleid rühmen.
Sie stellte für den Zeitraum 2014–2020 mit 408 Milliarden Euro den größten Ausgabenposten der EU dar. Nicht nur deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, Budgetmittel auf Länderebene bewusster einzusetzen und dabei alle Spielräume zu nutzen, die den Mitgliedstaaten bei der Entscheidung über die Mittelverwendung bleiben.
Österreich hat die zum Teil bereits als Notwendigkeit anerkannt, indem man mehr als 25 % seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche für den Bioanbau nutzt und die EU-Ziele für 2030 schon heute übertrifft. Macron und sein Landwirtschaftsminister planen stattdessen, im Rahmen ihres Nationaler Strategieplans (Plan stratégique national , PSN), der den GAP-Fonds auffangen soll, erst den Status quo zu erhalten, was die agroindustrielle Flucht nach vorn nur noch weiter fördert.
Wir stattdessen verpflichten uns, wenn wir an die Macht kommen, die 10 Milliarden Euro pro Jahr, den französischen Mitteln aus der GAP, zu ergreifen, um sie für eine gewaltige Beschleunigung des agrarökologischen Transformationsprozesses einzusetzen. Auf diese Weise wird es uns möglich sein, die ökologische Landwirtschaft zu unterstützen, die Niederlassung neuer Landwirte zu fördern, den Tierschutz zu erhöhen und den von der GAP oftmals vergessenen Landwirten wie die Obst- und Gemüsebauern endlich unter die Arme greifen und dem ungerechten System der Beihilfenkalkulation nach ha ein Ende setzen, um die geldlichen Hilfsmittel gerechter auf kleine und mittlere Bauernhöfe umzuverteilen.
Wir müssen uns auch den europäischen Vorschreibungen widersetzen, die eine Kommerzialisierung der Landwirtschaft verfolgen, und unilateral protektionistische Maßnahmen einführen, um ökologisches und gesundheitliches Dumping innerhalb der EU zu verhindern. Das bedeutet, dass wir im Namen des Vorsorgeprinzips beispielsweise den Einsatz bestimmter Pestizide verbieten wollen, wie es Frankreich bereits mit Titandioxid getan hat.
Arbeitnehmerschutz: Schluss mit den Wanderarbeiter:innen
Wanderarbeit führt zu Konkurrenz unter Arbeitnehmenden, verschlechtert ihre Arbeitsbedingungen und schadet den teuer verdienten kollektiven Schutz. Sie ermöglicht es Unternehmen, ausländische Arbeitnehmende in Frankreich zu beschäftigen, wobei sie die im Herkunftsland vorgesehenen Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Wobei diese Beiträge jedoch oft extrem niedrig sind oder es sie in einigen europäischen Staaten erst gar nicht gibt! Die Wanderarbeit „diskriminiert“ sozusagen ausländische Arbeitnehmende, die die gleiche Arbeit wie ihre einheimischen Kolleg:innen leisten, was zu einem unlauteren Wettbewerb gegenüber den französischen Arbeitnehmenden führt sowie allgemein zu einer Minderung des sozialen Standard. Erlassungen und Verordnungen kodifizieren die Praktiken des Sozialdumpings, die mit dieser Art von Regime zur Norm werden; jenem, das die Menschen eher als bloße Dienstleister denn als mobile Arbeitskräfte betrachtet und die Verringerung des sozialen Schutzes seiner Arbeitnehmenden nicht weiter kümmert.
Wanderarbeiter:innen sind regelmäßig mit Verstößen gegen das Arbeits- und Sozialrecht konfrontiert: Nichteinhaltung der Höchstarbeitszeit und/oder des Mindestlohns, Nichtanerkennung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, Nichtabführung von Sozialabgaben usw. Das System beruht hauptsächlich auf einer Logik der Auftragsvergabe, bei der die rechtliche Verantwortung und die Verpflichtungen des Arbeitgebers bewusst im Unklaren gehalten werden. Nicht zuletzt verhindert die Komplexität des Systems eine wirksame Kontrolle jener Praktiken oder eine gewerkschaftliche Reaktion auf diese massiven Betrügereien.
Wir warten mit einer „schlüsselfertigen“ Lösung auf, mit der ein neues System eingeführt werden kann, das den Arbeitnehmenden die Rechte zurückgibt, die ihnen zustehen. Frankreich wird eigenständig beschließen, diese Richtlinie nicht mehr anzuwenden, und einen neuen Rechtsrahmen für die betroffenen Arbeitnehmenden zu schaffen. Wir stützen uns dabei vor allem auf die Tatsache, dass die Richtlinie das von Frankreich ratifizierte IAO-Übereinkommen 97 über Wanderarbeiter nicht respektiert.
Entsprechend wird das Wanderarbeitsregime abgeschafft und der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmenden wieder hergestellt. Die Beiträge würden erst an das Gastland gezahlt werden und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses an das Herkunftsland des Wanderarbeiters weiterüberwiesen. Dieses Vorgehen würde durch eine Ausweitung des Wanderarbeiterschutzes während ihres Aufenthalts im Gastland (Anrecht auf Krankengeld, Arbeitsunfallversicherung) ergänzt werden.
Rückholung des unterschlagenen Geldes aus der Steuerflucht und Beendigung der Straflosigkeit für die europäischen Steuerparadiese
Die Steuerflucht von Schwerreichen und multinationalen Konzernen ist seit jeher eine Plage. Sie treibt ganze Staaten in den Ruin und entzieht ihnen Steuereinnahmen, die für die Bewältigung von Umweltproblemen und im Sinne der Gerechtigkeit einfach unerlässlich sind. Sie untergräbt die Beitragsbereitschaft des Steuerzahlers, indem sie unweigerlich den Blick auf einige Privilegierte lenkt, die sich zurückziehen und weigern, ihren Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten.
Die Europäische Union hat leider keine Antwort auf diese Fälle von Steuerhinterziehung. Im Europarat blockieren die allbekannten europäischen Steuerparadiese sämtliche Versuche einer Steuerharmonisierung. Schlimmer noch: Die EU-Vorschriften erlauben es nicht, EU-Mitgliedsländer auf die Liste der europäischen Steuerparadiese zu setzen! Die Europäische Union akzeptiert ihren eigenen Bankrott zugunsten jener Länder, die von dieser Steuerflucht leben.
Noch ist nicht alles verloren. Wir müssen von unseren europäischen Partnern verlangen, dass sie ihren Nachbarländern die Steuereinnahmen zugestehen und ihr eigenes Steuermodell entsprechend anpassen. Frankreich ist nicht der einzige Staat, der am Egoismus der europäischen Steuerparadiese verzweifelt. Nichts hält uns davon ab, diesbezüglich eine Koalition aufzubauen, um im Parlament gemeinsam Druck zu machen. Auch für einen einzelnen Staat gibt es Möglichkeiten: Wir können damit drohen, die Haushaltsrabatte, die einige Steuerparadiese genießen, zu blockieren, oder im Extremfall gemeinsam oder gar alleine beschließen, die Betrügerländer zu bestrafen.
Parallel dazu werden wir eine Universalsteuer auf die Reichsten in Frankreich und auf multinationale Konzerne einführen, die in Frankreich tätig sind, ohne ihren Pflichtanteil an Steuern zu zahlen. Bei einem Steuersatz von 25 % würde Frankreich 26 Milliarden Euro pro Jahr gewinnen können. Das könnte wiederum andere Staaten dazu bringen, es uns gleichzutun!
Glossar:
EU-Gipfel: Zusammentreffen der europäischen Staatschefs
Einstimmigkeitsregel: Demokratisches Abstimmungsverfahren, nach dem ein neuer Gesetzestext nur dann verabschiedet werden kann, wenn alle Mitgliedsstaaten ihm zustimmen.
Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit (BQM): Eine qualifizierte Mehrheit kommt dann zustande, wenn 55 % der Mitgliedstaaten dem Vorschlag zustimmen, wobei diese zusammen mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen müssen.
Sperrminorität: Staaten, die zusammen 35 % der europäischen Bevölkerung repräsentieren, können die Annahme eines Textes blockieren.
Rotierende EU-Ratspräsidentschaft: Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union rotiert alle sechs Monate zwischen den EU-Mitgliedstaaten gemäß einer festgelegten Reihenfolge. 2022 übernimmt Frankreich die EU-Präsidentschaft.
Europäische Kommission: Die europäische Exekutivgewalt, die die Gemeinschaftspolitik vorschlägt und zur Umsetzung bringt.
Europaparlament: Parlamentarische Versammlung, die die europäischen Bürger:innen vertritt.
Gemeinsame Agrarpolitik (GAP): EU-Politik zur Entwicklung einer gemeinschaftlichen Landwirtschaft und den Landwirten in den Mitgliedstaaten Unterstützung bietet.
Konferenz zur Zukunft Europas: Befragung der europäischen Bürger:innen zu den Zielen, der Politik und den Gemeinschaftsorganen.
3%-Regel: Haushaltskriterium, das von den Mitgliedstaaten verlangt, ihr öffentliches Defizit unter 3 % des BIPs zu halten.
Opt-out-Regelung: Ausnahmeregelung, die es einem Mitgliedstaat erlaubt, sich (vorerst) nicht an der Zusammenarbeit in einem Bereich der EU-Politik zu beteiligen.